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Für immer Hier
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Für immer Hier

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Theologischer Referent der Stellvertretenden Kirchenpräsidentin der EKHN
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„Für immer hier“. So heißt der brasilianische Film, der kürzlich den Oscar als bester ausländischer Film gewonnen hat. Regisseur Walter Sellas erzählt die Geschichte der Familie Paiva zur Zeit der Militärdiktatur. Sie beruht auf wahren Begebenheiten und beginnt 1970 in Rio de Janeiro. Da lebt die Familie Paiva unweit der berühmten Copacapana in gehobenen Verhältnissen. Eunice Paiva, ihr Mann Rubens und ihre fünf Kinder.

Im Film umarmt Rubens seine Frau und sagt: „Ich bin bald zurück.“ Dann verschwindet er – für immer.

Eines Tages holen bewaffnete Männer Rubens, den Mann, zum Verhör ab. Er war früher Abgeordneter im Kongress. Der Vorwurf: Er würde Gegner des Regimes unterstützen. Rubens umarmt seine Frau und sagt: „Ich bin bald zurück.“ Dann verschwindet er – für immer.  Der Film berührt mich sehr. Er erinnert mich daran, wie ich vor Jahren in einer Kirchengemeinde in Brasilien gearbeitet habe. Zwar viele Jahre nach dem offiziellen Ende der Militärdiktatur. Und doch schien es mir, als wäre die noch nicht lange vorbei. Ich habe damals Menschen kennengelernt, die mir vom Alltag in der Diktatur erzählt haben. Voller Angst und Ungewissheit. Wie Verwandte oder Freunde inhaftiert wurden. Einfach verschwunden sind.

Die brasilianische Mutter hält die Famlie zusammen

Eunice erlebt das im Film ähnlich. Sie erhält kein Lebenszeichen von Rubens. Also versucht sie verzweifelt, die Hintergründe seines Verschwindens und seinen Verbleib zu erfahren. Sie beginnt eine Laufbahn als Rechtsanwältin für Menschrechte. Und hält gleichzeitig die Familie zusammen. Die Schauspielerin Fernanda Torres spielt das meisterhaft. Dem Film liegt ein Buch zugrunde. Der Sohn der echten Eunice Paiva hat es geschrieben. Er betont, er habe seine Mutter während der vielen Jahre Ungewissheit nicht einmal weinen gesehen. Deshalb ließ der Regisseur im Nachhinein alle Szenen herausschneiden, in denen die Mutter im Film weint. Dadurch bekommt die Figur eine außergewöhnliche Stärke.

Kämpferisch wirkt sie, Trotzig und doch sensibel

Eine Szene zeigt das besonders eindrücklich: Eunice ist mittlerweile als Anwältin bekannt geworden. Ein Fotograf lichtet sie und ihre Kinder für die Zeitung ab. Er ruft ihnen zu: „Bitte nicht lächeln!“ Eunice sagt: „Er will uns traurig. Nein, wir lächeln.“ Kämpferisch wirkt sie. Trotzig und doch sensibel. Dass die echte Eunice wirklich nie geweint hat, kann ich mir kaum vorstellen. Aber sie wollte stark erscheinen. Für ihre Kinder. Bestimmt ist es die Liebe zu ihnen, aus der Eunice ihre Kraft schöpft. Und die Liebe zu ihrem Land und zu den Menschen, für die sie sich stellvertretend einsetzt.

Gott ist mit unterdrückten Menschen solidarisch

Als ich damals in Brasilien war, haben die Menschen in unseren Gottesdiensten immer wieder von solcher Liebe erzählt und ihren Glauben daran ausgedrückt: Gott ist mit unterdrückten Menschen solidarisch. Deshalb nehmen die Menschen Ungerechtigkeiten des täglichen Lebens nicht einfach hin. Sie schöpfen aus ihrem Glauben an Gott Hoffnung und Stärke. Und setzen sich bis heute dafür ein, dass das dunkle Kapitel der brasilianischen Geschichte weiter aufgearbeitet wird.

Wenn ich den Film sehe, wird mir wieder klar: Liebe und Glaube sind Quellen, die Kraft geben. Zum Durchhalten und Kämpfen. Das steckt für mich auch im Titel. Der ist der trotzige Ruf einer Kämpferin und die tröstliche Zusage Gottes: Ich bin „für immer hier“.

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