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Wo die Geister tanzen

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Katholische Studienleiterin an der Akademie des Bistums Mainz in Darmstadt
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„Wo die Geister tanzen“ – das ist der Titel eines Romans der Schriftstellerin Joana Osman. Joana Osman wurde 1982 in München geboren, sie ist die Tochter einer deutschen Mutter und eines palästinensischen Vaters, ihr Vater kam mit einem Stipendium zum Studium nach Deutschland.

Die Geschichte ihres Vaters

Sie erzählt in diesem Roman die Geschichte der Familie ihres Vaters: Wie viele andere arabische Familien hat sie im Jahr 1948 nach der Gründung des Staates Israel ihre Heimat verlassen. 

Ich habe das Buch vor einiger Zeit gelesen, es hat mich sehr beeindruckt. Joana Osman schreibt über die Flucht der Familie, über den Verlust der Heimat und das Bemühen, eine neue Heimat zu finden, über die tragischen Schicksale der einzelnen Familienmitglieder: Mehrere Söhne der Familie kommen ums Leben – bei der Geburt, durch einen Unfall, im libanesischen Bürgerkrieg. Die große Familie wird auseinandergerissen, Teile leben im Libanon, den USA, der Türkei, Deutschland.

Viel Trauer, aber mit Witz erzählt

Joana Osman erzählt ohne Bitterkeit, ja oft sogar mit Witz, neben den vielen traurigen Erlebnissen stehen auch die Anekdoten über skurrile Tanten und Jungenstreiche, wie sie wohl in jeder Familie weitererzählt werden.

Vor allem aber ist die Erzählung dieser Familiengeschichte geprägt von Trauer – von Trauer über den Verlust der Heimat und des guten Lebens, das die Familie einmal geführt hat, von Trauer über die tragischen Verluste von geliebten Menschen. Doch diese Trauer mündet nicht in Anklagen und Schuldzuweisungen, nicht in Wut und Hass, auch nicht in Rufe nach Rache und Vergeltung.

Der weltpolitische Konflikt beeinflusst das Leben

Der Roman erzählt von der menschlichen Seite eines weltpolitischen Konflikts, wie er das Leben einer Familie über Generationen prägt. Er erzählt auch davon: Verlust und Trauer kennen keine Konfliktparteien, und wer diese menschliche Seite sieht, der kann Mitgefühl mit allen empfinden: Noch in Jaffa, vor der Flucht, werden jüdische Einwanderer die Nachbarn der großelterlichen Familie, jüdische Einwanderer, die aus dem nationalsozialistischen Europa geflohen sind.

Als die palästinensische Familie erfährt, dass alle Angehörigen der jüdischen Familie im Holocaust ermordet wurden, nehmen die Großeltern Anteil an dem Schmerz und beten für die Toten. Und am Ende des Romans erzählt Joana Osman von ihren eigenen Erfahrungen: Wie sie im Sommer 2006 mit ihrer Cousine in Beirut telefoniert – und mitbekommt, wie draußen Bomben fallen und wie verängstigt ihre Cousine mit ihren beiden kleinen Kindern ist. Und wie sie zehn Jahre später, 2016, dasselbe erlebt, als sie mit israelischen Freunden in Tel Aviv telefoniert – und im Hintergrund Raketeneinschläge zu hören sind.

Friedensnetzwerke

Die menschliche Seite des Konflikts in den Blick nehmen, über den eigenen Schmerz sprechen und den Schmerz der anderen sehen. Joana Osman hat diesen Roman über ihre Familie geschrieben. Und sie hat vor mehr als 10 Jahren ein Friedensnetzwerk gegründet, gemeinsam mit israelischen Freunden, ein virtuelles Netzwerk, das Menschen aus den Ländern des Nahen Ostens miteinander in Kontakt bringt, damit sie sich ihre Geschichten erzählen, sich als Menschen begegnen.

Es mag ein naiver Ansatz sein, angesichts dieses jahrzehntlangen verworrenen Konflikts, angesichts der unglaublichen Gewalt und Brutalität gerade in jüngster Zeit. Trotzdem ist es ein Ansatz, der einen Funken Hoffnung gibt, dass Hass und Gewalt nicht das letzte Wort haben.

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