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Frühjahrsputz am Grab
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Frühjahrsputz am Grab

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Für meine Großmutter ist er noch selbstverständlich gewesen, der Frühjahrsputz. Schränke aussortieren. Polstermöbel und Teppiche reinigen. Decken waschen. Staub wischen. Aber noch wichtiger als das Putzen im Haus war der Frühjahrsputz auf dem Friedhof.

Zu jedem Verstorbenen gab es eine Geschichte

Als Kinder sind wir oft mit ihr zum Grab meines Großvaters gegangen. Der Friedhof ist groß, und der Weg war lang. Und an fast jeder Ecke blieb meine Großmutter stehen, weil sie so viele Gräber kannte. Zu jedem der Verstorbenen hatte sie was zu erzählen.

Friedhof war ein ziemlich lebendiger Ort

„Hier liegt Onkel Wilhelm – der konnte so gut Geschichten schreiben und malen. Und hier liegt Cousin Otto – der hat immer aus Spaß gesagt: er würde unterirdischen Tunnel zu den anderen Gräbern graben, damit sie alle sich dort unten zum Kartenspielen treffen können.“ Für uns Kinder war der Friedhof ein ziemlich lebendiger Ort mit einer großen Familie und besonderen Geschichten.

Der Frühjahrsputz am Grab als lebendige Erinnerungsarbeit

Am Grab meines Großvaters angelangt, ging die Arbeit los. Meine Großmutter hat mit uns die Erde aufgelockert. Sie hat abgestorbene Pflanzenreste und Unkraut entfernt. Und Frühlingsblüher eingesetzt: Stiefmütterchen, Primeln, Hyazinthen oder Vergissmeinnicht. Der Frühjahrsputz auf dem Friedhof war für meine Großmutter lebendige Erinnerungsarbeit.

Der Friedhof als ein Zeichen der Hoffung 

Ich bin immer noch gern auf Friedhöfen unterwegs. Besonders im Frühjahr, wenn alles grünt und blüht. Dann scheint mir: Der liebe Gott setzt hier ein Zeichen der Hoffnung, gegen die Traurigkeit, die ja auf einem Friedhof auch mit Händen zu greifen ist. Mit den Schneeglöckchen und Krokussen am Wegrand und dem Vogelgezwitscher in den Bäumen zeigt mir Gott: Das Leben geht weiter, das Leben setzt sich durch gegen die Kräfte der Zerstörung.

Ein Text der Hoffnung mitten im Krieg

Shalom Ben-Chorin, ein deutsch-israelischer Rabbiner, hat mitten im Krieg 1943 einen wunderschönen Text zu dieser Frühlings-Hoffnung geschrieben [1]:

„Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig,

dass die Liebe bleibt? Dass das Leben nicht verging, soviel Blut auch schreit,

achtet dieses nicht gering, in der trübsten Zeit.“

Der Mandelzweig gilt als Zeichen für Gottes Begleitung

Der Mandelzweig ist nicht irgendein Frühblüher. Er kommt schon in der Bibel vor und steht dafür, dass Gott seine Versprechen wahrmacht. [2] Im hebräischen Urtext klingen die Worte für „Mandelzweig“ und „wachen“ sehr ähnlich. Der blühende Mandelzweig gilt als Zeichen für Gottes Begleitung: Gott wacht über seine Welt, auch wenn ich das fast nicht mehr spüren kann.

In Gemeinschaft ist der Frühjahrsputz besonders schön

Ich glaube: Beim Frühjahrsputz am Grab hat meine Großmutter genau diese Hoffnung instinktiv in sich getragen. Und in Gemeinschaft ist so ein Frühjahrsputz besonders schön. Das bestätigt ein Mann in einer Ausgabe der ZEIT. Er beschreibt, was sein Leben reicher macht: „Wenn beim Frühjahrsputz am Grab meiner Eltern…. zufällig eine Klassenkameradin aus der Grundschule auftaucht, per WhatsApp weitere Mitschülerinnen informiert und so zwischen den Gräbern eines früheren Lehrers und einiger … bereits verstorbener Schulgefährten ein spontanes Klassentreffen entsteht.“ [3]

 


[1]  de.wikipedia.org/wiki/Schalom_Ben-Chorin

[2]  Jeremia 1,11f

[3]  ZEIT Nr. 22, 25.Mai 2023

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