
Vorfrühling
Es ist schon drei, vier Wochen her, da habe ich über What’s App ein erstes Foto mit Kranichen bekommen. Ein ganz langer dünner Strich am Himmel; viele kleine Punkte, die sich Richtung Nordosten bewegen.
Ein paar Tage später habe ich sie beim Spazierengehen am Abend selber gehört: Zuerst waren da seltsame trompetenartige Laute in der Luft, und dann sah ich über den Bäumen einen Schwarm. Im abendlichen Dunkel flogen die Kraniche weiter ihrem Ziel entgegen. Aus ihren Winterquartieren im warmen Süden ziehen die Kraniche wieder in den Norden, weil es dann auch da wieder wärmer wird.
Der Winter zieht sich zurück
Kraniche sind erste Vorboten des Frühlings. Sie zeigen: Der Winter ist vorbei. Vorfrühling nennt man diese Zeit. Diese Schwelle, wenn der Winter sich zurückzieht und der Frühling langsam naht, mag ich gern.
Seit vielen Jahren schon staune ich darüber und achte darauf. Die winterlich kahlen Bäume zeichnen mit ihren Zweigen noch interessante Schattenbilder vor dem Himmel. Aber wenn man ihre Zweige genau anschaut, sieht man an einem zarten Rotschimmer, wie sie wieder frische Kraft aus der Erde ziehen. Nicht mehr lang, dann werden sie blühen. Der Vorfrühling ist eine Zeit der Hoffnung auf das Kommende.
Zeichen der Natur in der Bibel
Auch die Bibel kennt solche Zeichen in der Natur. Jesus macht darauf aufmerksam: „Schaut auf den Feigenbaum und auf alle Bäume“ (Lk 21,29), und ein andres Mal: „Lernt von den Lilien des Feldes!“ (Mt 6,28). Natur und Mensch sind für Jesus keine getrennten Bereiche. Vögel, Lilien, Bäume, das Gras sind eine Schule für die Menschen.
Jesus denkt da ganz im Sinne der gesamten Bibel: An den Zeichen der Natur können Menschen lernen, auch Gottes Zeichen in der Welt zu erspüren. Allerdings ist dieser Zusammenhang zwischen Natur und Mensch durch den Klimawandel und die Zerstörung natürlicher Ressourcen mehr und mehr gefährdet. Die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Natur verwandeln sich radikal in lebensbedrohliche Szenarien.
Der Philosoph Hans Jonas
Den Menschen mit seiner Verantwortung in Prozesse der ganzen Erde einzubinden, war ein Anliegen des Philosophen Hans Jonas. In seinem Buch „Prinzip Verantwortung“ hat er an Kants kategorischem Imperativ kritisiert, dass dieser zu stark auf den Menschen als Zweck moralischen Handelns begrenzt sei. Hans Jonas hat statt dessen einen ökologischen Imperativ vorgeschlagen: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Das Leben im Zusammenspiel mit dem Ökosystem Erde
Leben ist nach Jonas ein komplexer Zusammenhang in dem gesamten Ökosystem Erde. Wenn menschliches Leben weitergehen soll, muss auch dieser Gesamtzusammenhang des Lebens auf der Erde erhalten bleiben. Alles Handeln des Menschen muss daher darauf ausgerichtet sein, die Ressourcen für Leben auf der Erde nicht dauerhaft zu schädigen.
Noch fliegen die Kraniche als Vorboten des Frühlings, wenn auch inzwischen früher als sonst. Auch der Saft in den Bäumen steigt noch auf, aber viele Bäume sind bereits krank. Die Schönheit dieser Zeichen bewegt mich auch dieses Jahr, mein Handeln so auszurichten, dass es diese Ressourcen unseres Lebens nicht dauerhaft zerstört.