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Hallo Oma

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Im Februar gab es in den sozialen Medien ein Low-Budget-Video aus Hamburg. Es zeigt einen gedeckten Tisch in einer verkehrsberuhigten Zone: ein Tischtuch, eine Kaffeekanne, eine Sahnetorte, Zuckerdose, Tassen und Teller. Daneben steht eine Pappe mit der Frage: „Lust auf einen Kaffee wie bei Oma?“

Ein junger Mann setzt sich

Verschiedene Leute kommen an dem Tisch vorbei und rätseln, was das bedeuten soll. Manche bleiben sitzen und werden aus der Kaffeekanne bedient, eine Kerze wird angezündet. Dann setzt sich ein Mann mit einer Westerngitarre zu ihnen. Er beginnt sein Lied zu singen.

"Hallo Oma"

Die ersten Zeilen sind mir sofort hängen geblieben: „Hallo Oma, ich wollte dich nicht stör‘n. Doch ich habe so große Angst wie nie. Du hast dich ja immer zu uns an den Küchentisch gesetzt und gesagt: ‚Nie wieder das ist jetzt.‘“

Sein Lied geht weiter. Er singt von den Nazis, die jetzt in den Stadtrat gewählt sind, vom Hass, den sie vor Unbekanntem schüren, davon, dass auf Menschlichkeit kein Verlass mehr ist, und dass alles bald eskaliert. Die Menschen, die sich um den Tisch gesetzt haben, hören ihm zu, nicken zustimmend mit dem Kopf, wischen sich Tränen aus den Augen, denken nach.

Angst vor der Zukunft

Das Video stammt von Marlo Grosshardt. Er singt darin und begleitet sich mit der Gitarre. Mich hat es sehr berührt: Auch ich habe Angst, wie ich sie in meinem Leben noch nicht gekannt habe: Wenn ich auf den Rechtsruck schaue, in unserer Gesellschaft und weltweit. Wenn ich sehe, wie in öffentlichen Diskussionen rechte Rhetorik geschickt Fragen ausweicht und Fakten zurechtbiegt. Und ich habe auch Angst vor weiterer Gewalt, vor Anschlägen und Attentaten, Angst um Andere und um mich.

Als ich das Video sah, hatte ich in der Bibel gerade im Buch Kohelet gelesen. Da heißt es: „Das ist das Schlimme an allem, was unter der Sonne geschieht, […] dass in den Menschen […] die Lust zum Bösen wächst und Verblendung ihren Geist erfasst“ (Vgl. Koh 9,3). Im hebräischen Original ist es das Herz, in dem das Böse und die Verblendung im Menschen wachsen.

Kaffeetische gegen das Böse

An Marlo Grosshardts Video hat mich bewegt, dass Menschen dem Bösen, was in ihrem Herzen wächst, etwas entgegensetzen. Mit seinem Kaffee wie bei Oma spricht er Menschen an, damit sie das Nie-Wieder zum Jetzt werden lassen. An einer Stelle fragt er einen Mann, der an seinem Kaffeetisch sitzt, wie er heißt: Thomas, sagt er.

Er singt dann weiter: „Hallo Thomas, ich wollte dich nicht stör’n“, und dann werden viele weitere Namen eingeblendet: Vera, Baschar, Miko Tabea und so weiter. Ich will, dass mein Name bei denen ist, die sich stören lassen. Hoffentlich gibt es bald viele Kaffeetische, an denen gegen das Böse angesungen wird und für das Gute, das statt dessen im Herzen wachsen soll.

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