
Kompromisse
Immer wieder kam es zu Tumulten. Und zwar weil der Apostel Paulus zur Zeit der ersten Christen in Synagogen predigte.
Empörung auf der einen Seite, Unmut auf der anderen
Auf der einen Seite empörten sich besonders fromme Juden, sie wollten diese neue Lehre nicht in ihrem Haus hören; auf der anderen Seite äußerten die griechischen Heiden ihren Unmut. Sie dachten gar nicht daran, in eine Synagoge zu gehen, um etwas über den auferstandenen Christus zu erfahren. Die Parteien dieses Streites hielten nicht viel voneinander.
Die Konfrontation nahm zu
Mit der Zeit nahm die Konfrontation zu: Die einen lehnten es ab, mit den anderen überhaupt zu sprechen. Andersdenkende wurden vertrieben, es flogen Steine (Apostelgeschichte 15). Schließlich blieb Paulus und der Urgemeinde nichts anderes übrig, als um einen Kompromiss zwischen den Positionen zu ringen.
Ohne Kompromisse geht nichts
Ohne Kompromisse können wir nicht friedlich zusammenleben. Das galt damals wie heute. Schon im Kreis der Familie lässt sich das erfahren, und sogar trainieren. Wohin geht’s im Urlaub? Wieviel Computer ist vertretbar? Muss das gegessen werden, was auf den Tisch kommt? Von Morgen bis abends durchziehen solche Fragen den Alltag. Und ich erlebe: Erst wenn ich von der eigenen Haltung abrücke und auf den anderen zugehe, finden wir irgendwo in der Mitte eine Lösung.
Kompromissbereitschaft ist jetzt auch in der Politik gefragt
Wie wichtig die Bereitschaft zum Kompromiss ist, bekommen wir in diesen Tagen in der Politik zu spüren. Das Volk hat gewählt, und nun müssen die Parteien aufeinander zugehen, damit eine Regierung zustande kommt. Ohne Koalition gibt es keine regierungsfähige Mehrheit, das heißt ohne Kompromisse geht nichts. Dabei stehen die Zeichen für Koalitionen, also für das Zusammenwachsen abweichender Positionen, eher schlecht. Und dafür sind nicht nur die Politiker verantwortlich. Ihre ablehnende Haltung spiegelt häufig nur die Haltung der Wähler wider. Also: Je weniger kompromissbereit wir sind, umso mehr verhärten sich auch die Fronten in den Parteien.
Aufeinander zugehen
Der Philosoph Georg Simmel hat einmal geschrieben: „Die Fähigkeit zu Kompromissen ist eine der größten Erfindungen der Menschheit“.
Wer die eigene Meinung zurückhalten kann, auch wenn es vermeintlich die einzig richtige ist; wer den Gegnern zuhört, statt sie mit Worten, Torten oder Steinen zu bewerfen, stellt damit seine Demokratiefähigkeit unter Beweis.
Das alles: Aufeinander zugehen, eigene Erwartungen zurückstellen, den vermeintlichen Feind wertschätzen – diese Werte machen den christlichen Glauben aus. Er ist eine Schule für die Kompromissfähigkeit. Den Politikern, die in diesen Tagen Koalitionen schmieden müssen, sei das anempfohlen. Aber nicht nur ihnen. Es betrifft auch mich und dich, die Wähler, wir müssen ebenfalls bereit sein, einen Teil der eigenen Vorstellungen aufzugeben um der gemeinsamen Zukunft willen.
* G. Simmel, Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung (Georg Simmel Gesamtausgabe 11), Frankfurt a. M. 1992, 375.