
Die Meinung des anderen retten
Morgen ist Bundestagswahl. Ich stehe wieder einmal vor der Entscheidung, welcher Partei und welchen Kandidaten ich meine Stimme geben soll. Im Wahlkampf wurden die unterschiedlichen Standpunkte und Ziele der politischen Parteien deutlich. Nun habe ich die Wahl - haben wir alle die Wahl. Denn nun ist Volkes Stimme gefragt.
Demokratie zielt auf die Herrschaft des Volkes ab. Nicht zu allen politischen Entscheidungen werde ich um meine Meinung gefragt. Aber alle vier Jahre werde ich zur Teilnahme an der Bundestagswahl aufgerufen. Durch meine Stimmabgabe übertrage ich den Volksvertretern das Mandat, meine Interessen zu vertreten.
Pluralität als Wesensmerkmal der Demokratie
Im Wahlkampf habe ich eine Vielzahl unterschiedlicher Positionen und Haltungen von den Parteien gehört und wahrgenommen. Manche stehen sich diametral gegenüber. Es gibt ein buntes Meinungsspektrum. Das nennt man Pluralität. Sie ist ein Wesensmerkmal der Demokratie.
Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass es oft gar nicht möglich ist, in einen echten Austausch verschiedener Argumente zu kommen. Da wird die Meinung eines anderen herabgesetzt oder niedergemacht. Manche Menschen hören sich noch nicht einmal andere Standpunkte an.
So entstehen die sogenannten „Blasen“, wie es in der Soziologie heißt. Menschen verschanzen sich in Blasen, in denen sie sich nur noch mit den Menschen unterhalten, die gleicher Meinung sind. So bleibt man unter sich. Was gehen mich andere Positionen an?
Vom Zuhören hin zum Akzeptieren
Vom Heiligen Ignatius von Loyola stammt die Aufforderung, die Meinung des anderen zu retten. Gemeint ist damit, die Fähigkeit zu entwickeln, einen mir entgegengesetzten Standpunkt anzuhören und sich damit auseinanderzusetzen. Ich muss diese andere Meinung nicht übernehmen, aber ich sollte sie kennen und mein eigenes Urteil überprüfen.
Sich auf den Stuhl meines Gegenübers setzen. Es zuzulassen, dass es auch andere Argumente zu einem Thema gibt. Ein Gespräch mit einem Andersdenkenden zu führen – immer mit der Möglichkeit, dass mein Gegenüber auch Recht haben könnte. Dies würde ein Gesprächsklima schaffen, in dem ein guter Gedankenaustausch möglich ist. Ohne Vor-Verurteilung und Ressentiments.
Ein Anfang dazu würde sich lohnen – nicht nur zur Bundestagswahl.