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Astrid Lindgrens Glaube
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Astrid Lindgrens Glaube

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Die Schriftstellerin Astrid Lindgren hat nicht nur wunderbare Geschichten für Kinder und Erwachsene geschrieben, sondern auch Gedichte. Eins davon fängt so an: „Wäre ich Gott, dann würde ich weinen über die Menschen, sie, die ich geschaffen zu meinem Ebenbild.“1

Ganze Generationen hat Astrid Lindgren geformt

Diese Worte klingen wie ein Stoßseufzer. Sie hat sie 1975 geschrieben. Damals war sie 68 Jahren alt, die meisten ihrer Kinderbücher hatte sie da schon verfasst. Ganze Generationen hat sie damit geformt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie meine Kindheit aussehen würde ohne Pippi Langstrumpf, ohne Kalle Blomquist und Karlsson vom Dach. Als Kind war ich auf du und du mit Michel aus Lönneberga, zu meinen Freunden gehörte die Räubertochter Ronja, Lotta aus der Krachmacherstraße und natürlich die Kinder aus Bullerbü. Diese Bücher haben mich geprägt, wahrscheinlich verdanke ich ihnen einen Teil meiner Persönlichkeit. Auf jeden Fall ist Astrid Lindgren für mich nicht nur die wichtigste Kinderbuchautorin, sondern darüber hinaus auch eine Kennerin der Kinderseele, und eine Frau, die genau weiß, wovon sie schreibt.

Die andere Seite von Astrid Lindgren

Die andere Seite von ihr kannte ich bisher nicht. Sie hat in ihren Büchern stets eine bunte, optimistische Kinderwelt ausgemalt. Aber sie war auch von Zweifeln geplagt. Der christliche Glaube setzte ihr zu, forderte sie heraus. Wie kann man an Gott glauben, wenn es in der Welt so viel Bosheit, Gemeinheit, Rohheit gibt? Das quälte sie. Astrid Lindgren hat mit der Welt gerungen und mit Gott, den sie als Schöpfer anspricht. In dem zitierten Gedicht weint sie über Hunger, Hoffnungslosigkeit und Not. Und auch dort stehen bei ihr wieder die Kinder im Vordergrund. Sie schreibt:

„Ja, wäre ich Gott, gewiss würde ich viel über die Kinder weinen,
denn nie habe ich mir gedacht, dass sie es so wie jetzt haben sollten.“

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder...“

Der Glaube äußert sich bei Astrid Lindgren als Klagelied. Aber sie geht doch darüber hinaus, und darin liegt ihre Kraft. In ihren Büchern schafft sie eine Welt, in der Kinder Geborgenheit erfahren und selbstbestimmt wachsen dürfen. Wenn ich als Theologe an Karlsson, Lotta und die Kinder aus Bullerbü denke, fühle ich mich an einen Satz aus dem Matthäus-Evangelium erinnert. Dort heißt es: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ Ich entdecke darin fast so etwas wie einen Leitfaden für die Bücher von Astrid Lindgren. Sie hat es als Erwachsene geschafft, sich so in die Denkweise der Kinder einzufinden, dass sie auch deren Sorgen und Nöte erfühlt. Und das ist der erste Schritt, nicht nur über die Welt zu weinen, sondern Kindern wie auch Erwachsenen Mut zum Leben zu machen. Heute, am 28. Januar, im Jahr 2002, ist Astrid Lindgren gestorben, im Alter von 94 Jahren.

 

1   Zitat aus: Astrid Lindgren: Wäre ich Gott. In: Felizitas von Schönborn (1995): Astrid  Lindgren – Das Paradies der Kinder. Freiburg: Herder. S. 51

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