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Was ich nicht hinnehmen muss
Foto: freepic/jcomp

Was ich nicht hinnehmen muss

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Es geht um 116,- Euro. So viel Schulden hat die Frau mit drei Kindern, die frühmorgens Zeitungen austrägt: 116,- Euro. Manchmal klingelt bei ihr der Gerichtsvollzieher. Ob sie zahlen kann, fragt der. Nein, sagt die Frau. Der Gerichtsvollzieher sieht sich in der Wohnung um. Es gibt nichts mehr zu pfänden. Was machen wir denn jetzt?, fragt er. Vielleicht Raten zahlen. Zehn Euro im Monat? Frau und Mann nicken - und wissen, dass es nicht klappen wird. Wovon soll sie jeden Monat zehn Euro übrig haben? Sie hat jetzt schon zu wenig. Anders die Berühmte im Nachbardorf, die ein Haus kaufen will. Geld spielt keine Rolle. Soll sie das mit dem kleinen See nehmen oder das mit dem Park? Das mit den sechs Schlafzimmern und drei Bädern? Oder das mit Tennisplatz? Sie kann sich nicht entscheiden. Vielleicht kauft sie beide Häuser und vermietet das eine. Sie hat ja so viel.

Einige haben zu wenig - andere mehr als genug

Beide Geschichten ereignen sich in der gleichen Welt, nur ein paar Kilometer entfernt voneinander. Die eine hat ständig den Gerichtsvollzieher neben sich sitzen wegen 116,- Euro. Die andere kann sich nicht entscheiden: Sechs Millionen für ein Haus, oder sieben - oder beide? So ist die Welt. Die einen haben viel zu wenig, die anderen mehr als genug. Die einen würden gar nicht merken, wenn ihnen hundert Euro fehlen. Die anderen haben den Kuckuck am Schrank wegen ein paar Euro. Was sagt mir das?

Ungerechtigkeiten abstellen

Das sagt mir, dass die Welt nicht gerecht ist. Viele haben ihren Mangel nicht verdient. Andere ihren Überfluss nicht. Vieles, was man hat, hat man sich nie im Leben verdient. Auch ich mein gutes Gehalt nicht, womit denn? Andere arbeiten hart und bekommen weniger. Ich weiß nicht, warum Gott das scheinbar hinnimmt. Ich weiß aber, dass ich es nicht hinnehmen muss. Ich werde dieser Frau oder einer anderen die 116,- Euro geben. Dann hat sie endlich Ruhe vor dem Gerichtsvollzieher. Und ich habe ein besseres Gewissen. Ich kann die Welt nicht retten, leider. Aber die eine, kleine Ungerechtigkeit vor meinen Augen, die kann ich abstellen. Und zwar möglichst sofort.

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