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Standhaft und zielgerichtet – ein etwas anderer Blick auf Petrus und Paulus
Bild: irinakeinanen7Pixabay

Standhaft und zielgerichtet – ein etwas anderer Blick auf Petrus und Paulus

Prof. Dr. Cornelius Roth
Ein Beitrag von Prof. Dr. Cornelius Roth, Rektor Katholische Theologische Fakultät Fulda
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Vor kurzem habe ich in der Zeitung gelesen, dass es so etwas wie „meditatives Bogenschießen“ gibt. Im Bogenprojekt „spiriBOW“ der katholischen Kirche in Hünfeld fliegen die Pfeile im wörtlichen Sinn. Neben traditionellen Bogenkursen, in denen man das Bogenschießen erlernt, gibt es auch spirituelle Bogenkurse, in denen man die Haltung beim Bogenschießen mit Haltungen im Leben in Beziehung setzen kann. Es ist ein Angebot, das sich ganz ausdrücklich nicht an Kirchgänger richtet - obwohl natürlich auch solche willkommen sind -, sondern an alle Menschen, die nach spiritueller Erfahrung suchen.

Auf was es beim Bogenschießen ankommt

Der Gemeindereferent Patrick Jestädt, selbst ein leidenschaftlicher Bogenschütze, der es bis zum dritten Platz bei den Hessischen Meisterschaften 2024 gebracht hat, erläutert dazu: „Bogenschießen ist nicht nur eine Sportart oder Jagdart, sondern wird heute zu Therapiezwecken genutzt, da es sehr meditativ sein kann.“ Ein Impuls beim spirituellen Bogenschießen beschäftigt sich zum Beispiel mit dem stabilen und festen Stand, der die Basis beim Bogenschießen ist. Ohne festen Stand kann es keinen guten Schuss geben. Wo ist mein fester Stand? Was ist meine Basis, von der aus ich handeln kann? So werden die Teilnehmer eingeladen, darüber nachzudenken, wer oder was sie geprägt hat und ihr Fundament bildet. Ebenso könnte man auf das Zielen schauen. Bevor der Pfeil losschwirrt, muss das Ziel fest ins Auge genommen werden. Was ist eigentlich mein Ziel im Leben? Habe ich es im Blick? Oder laufe ich ziellos umher? Alles Fragen, die ihre Berechtigung haben.

Petrus und Paulus

Man kann diese Fragen auch mit zwei weltbekannten Heiligen verbinden, deren Fest am Sonntag gefeiert wird und die einem auf Schritt und Tritt begegnen, wenn man durch Rom geht: Petrus und Paulus. Ob direkt vor der Peterskirche oder in zahlreichen Mosaiken alter Kirchen – immer wieder begegnet dieses Apostelpaar den Pilgern und Touristen in Rom. Sie sind wie zwei Geschwister, der eine mit dem Schlüssel, der andere mit dem Schwert „bewaffnet“. Ich denke, es lohnt sich über die beiden mal etwas nachzudenken.

Dabei ist es wichtig, sie zunächst von ihrem Podest herunterzuholen. So groß und mächtig, wie sie dargestellt werden, waren sie nämlich gar nicht. Beide haben gezweifelt und gesündigt: Paulus, indem er die junge Kirche anfangs verfolgte und Petrus, indem er seinen Herrn verleugnete. Sie waren beide nicht Heilige, wie wir sie uns vielleicht vorstellen, keine Heilige ohne Fehl und Makel, sondern Menschen aus Fleisch und Blut mit ihren Ecken und Kanten, die sich auf dem Apostelkonzil bei der Frage der Beschneidung der Heidenchristen sogar gegenseitig in die Wolle bekamen. Genau das macht sie aber sympathisch: Sie hatten ihre Fehler und können deshalb als „sündige Heilige“ sehr gut in einer Kirche vorangehen, die selbst aus Sündern besteht. Petrus und Paulus sind Menschen, die uns in vielem gleichen.

Aber dennoch sind sie irgendwie „anders“. Irgendein Eifer muss sie angetrieben haben, irgendeine überirdische Begeisterung und Treue. Sonst wäre manches in ihrem Leben nicht zu erklären. Wie etwa jemand solche Strapazen auf sich nehmen konnte wie Paulus auf seinen Missionsreisen oder wie jemand so unbeirrbar am Bekenntnis zu Jesus festhalten konnte wie Petrus, weswegen er zu Recht zum Felsen der Kirche wurde. Das lässt sich nur verstehen, wenn man etwas tiefer blickt.

Musik: Johann Sebastian Bach - Prelude in G Major, BWV 541 – Miachel Chapuis - J. S. Bach: L’oeuvre d’orgue 

Standhaft und zielgerichtet

Petrus und Paulus, die beiden stehen – und damit kommen wir zum Bogenschießen zurück – für Standhaftigkeit und Zielgerichtetheit in der Kirche. Wie wir vom Bogenschießen jetzt wissen, braucht es einen klaren Stand, vielleicht auch einen klaren Standpunkt, damit wir überzeugend auftreten können. Dafür steht Petrus, der Fels, der vom Papst repräsentiert wird. Es braucht aber auch eine Zielgerichtetheit, die Bereitschaft zum Aufbruch. Paulus ist nicht orientierungslos in die Welt gezogen, sondern hat ganz bewusst Gemeinden in großen Städten gegründet und diese dann immer wieder besucht. In der Fußballersprache – um noch eine andere Sportart zu bemühen – könnte man es vielleicht so ausdrücken: Petrus ist das Standbein, Paulus das Schussbein, das die Botschaft Gottes in die Welt hineinschießt, um sie aufzurütteln und zu verändern.

Dass der eine nun aber den Ruhepol der Kirche bilden konnte und der andere den Aufbruch, hat ein und dieselbe Motivation. Und das ist das Geheimnis dieser beiden Heiligen. Beide haben nämlich ihren Herrn leidenschaftlich geliebt, manchmal beinahe kindlich, eben durch und durch menschlich. Petrus bezeugte seine Liebe zu Jesus gleich dreimal nach der Auferstehung und Paulus betrachtet Christus als sein Leben und sein Sterben als Gewinn, so sehr sehnt er sich nach seinem Herrn. Paulus verdanken wir auch das sogenannte „Hohelied der Liebe“, einen Text, den Brautleute immer wieder gerne als Lesungstext bei der Trauung wählen, der aber im Blick auf Paulus eher die Motivation seines apostolischen Wirkens zur Sprache bringt.

Mystiker und Christen der Zukunft

Petrus und Paulus kann man in ihrer Liebe zu Christus als Mystiker bezeichnen und damit als Christen der Zukunft. Das Wort „Mystik“ klingt für uns heute eher befremdlich, nebulös, esoterisch. Im Kern meint es aber nichts anderes, als dass Menschen Erfahrungen mit Gott gemacht haben und darüber berichten. Paulus tut es mehr in Worten, Petrus mehr in Taten. Paulus ist mehr der mystische Theologe, Petrus mehr der mystische Mensch. Der eine liebt Christus mehr mit seinem Verstand, der andere mehr mit dem Bauch und dem Herzen. Aber beide lebten aus dieser Christusliebe.

Wenn wir heute an Petrus und Paulus denken, sollten wir uns auch klar machen, dass wir alle berufene Heilige sind, kleine Mystikerinnen und Mystiker, Stellvertreter Christi auf unserer Position im Leben und in der Gesellschaft. Petrus und Paulus haben uns gezeigt, wie man diese christliche Berufung zur Heiligkeit konkret leben kann: durch und durch menschlich, durchaus auch mit Fehlern, aber erfüllt von einer tiefen, leidenschaftlichen Liebe zu Christus, die Treue und Standhaftigkeit beinhaltet.

Ich weiß nicht, ob die beiden Bogen schießen konnten, ich glaube es mal nicht. Aber sie stehen für zwei Haltungen, die beim Bogenschießen wie auch beim Fußball, aber eben auch im Leben und im Glauben wichtig sind: ein Fundament zu haben, einen Stand, der Sicherheit gibt, aber auch die Offenheit, nach vorne zu schauen und aufzubrechen, zielgerichtet den eigenen Weg zu gehen.

Musik: Maurice Duruflé - Ubi caritas - The Cambridge Singers; John Rutter - This is the day – Music on Royal Occasions 

Achtsam sein mit sich und anderen

Wenn Petrus und Paulus Bogenschützen gewesen wären – Pfeil und Bogen gibt es für die Jagd schon seit 12.000 Jahren –, hätten sie noch andere Haltungen lernen können: Achtsamkeit, Geduld und Gelassenheit. Nach dem Bild, das die Bibel von den beiden Aposteln zeichnet, gehören diese Eigenschaften eher nicht zu ihren Stärken. Aber der Blick auf das meditative Bogenschießen lädt uns ein, diese Haltungen für unser Leben und unseren Glauben neu zu bedenken.

Eine Kultur der Achtsamkeit wird heute immer wieder gefordert. Sie bezieht sich auf das eigene Leben, aber auch auf das Leben der anderen. Wer achtsam mit sich selbst und anderen umgeht, lebt bewusster und am Ende glücklicher. Ich selbst ertappe mich immer wieder dabei, dass ich den gegenwärtigen Augenblick nicht richtig wahrnehme, sondern viel zu fokussiert bin – auf den nächsten Termin, den ich habe; das nächste Gespräch, das kommt. Häufig laufe ich mit einem Tunnelblick durch die Stadt und nehme kaum wahr, was links und rechts von mir passiert. Immer zielgerichtet, aber nicht achtsam. Beim Bogenschießen wie im Leben insgesamt kommt es aber auf beides an. Man darf bei aller Zielgerichtetheit den Bogen nicht überspannen.

Die Achtsamkeit mit sich selbst ist eine Haltung, die schon von den Wüstenvätern, deren Weisheit heute gerne als Vorbild genannt wird, schon vor über 1500 Jahren hervorgehoben wurde. So wird vom Hl. Antonius berichtet, er habe einmal mit einem Jäger gesprochen, der bei ihm vorbeikam und die Gemeinschaft dafür kritisierte, dass sie nichts tut, sondern nur dasitzt und betet. Antonius forderte ihn auf: „Spann deinen Bogen!“ Der Jäger tat es. „Viel zu wenig, noch mehr spannen!“, rief ihm Antonius zu. Der Jäger gehorchte. „Immer noch nicht genug! Noch kräftiger anspannen!“, befahl Antonius weiter. Doch diesmal machte das der Jäger nicht, sondern sagte: „Wenn ich ihn noch mehr anspanne, dann zerbricht er mir!“ „Aha“, antwortete der Mönchsvater, „schau, Jäger, genauso ist es mit dem Menschen! Wenn er seine Kräfte übermäßig anspannt, dann zerbricht er. Er muss entspannen, um anspannen zu können!“ Und nachdenklich zog der Jäger davon.

Musik: Arvo Pärt - Für Alina – Alice Sara Ott - Echoes of life 

Geduld als Tugend wiederentdecken

Eine Haltung beim Bogenschießen ist auch die Geduld. Man muss den richtigen Zeitpunkt abwarten, bevor man den Pfeil loslässt. Richtig stehen, zielen, ausatmen, Ruhe bewahren – und dann erst schießen. Petrus begegnet uns in den Evangelien eher als ungeduldiger Geselle, der die Worte Jesu nicht immer versteht und ungeduldig fragt, was sie bedeuten sollen - etwa die Leidenskündigung. Ob Paulus ein geduldiger Mensch war, lässt sich nicht leicht sagen. Die Tatsache, dass er immer wieder die Menschen in den von ihm gegründeten Gemeinden kritisiert, weil sie vom einmal angenommenen Weg abgekommen sind, spricht nicht unbedingt dafür. Dabei hat Geduld ganz viel mit dem Glauben zu tun. Tomáš Halík schreibt in seinem Buch „Geduld mit Gott“, dass der Hauptunterschied zwischen dem Atheismus, aber auch dem religiösen Fundamentalismus auf der einen und dem Glauben auf der anderen Seite die Geduld ist. Der Glaube ist nicht so schnell fertig mit dem Geheimnis Gottes, sondern kann warten und lernen, mit dem Geheimnis Gottes zu leben, ohne es gleich zu ergründen. Geduld ist also nicht nur eine Tugend im Alltag – wo es sich auch lohnt, geduldig zu sein und den richtigen Zeitpunkt abzuwarten –, sondern eine religiöse Haltung, die mit Glauben, Hoffnung und Liebe verbunden ist. Man kann daher sagen, die Geduld mit anderen ist Liebe, die Geduld mit sich selbst ist Hoffnung und die Geduld mit Gott ist Glaube.

Gelassenheit schenkt Abstand

Schließlich ist noch die Gelassenheit zu nennen. In der Bibel wird hier von der Sorglosigkeit gesprochen, die die Jünger gegenüber den anderen Menschen auszeichnen soll, die sich zu viele Sorgen über alltägliche Dinge machen. (Mt 6, 25-34) Demgegenüber darf der gläubige Mensch alles in Gottes Hände legen. Man sollte hier aber aufpassen, nicht zynisch zu werden. Gelassenheit heißt nicht, sich berechtigte Sorgen über das Leid, die Kriege, den Hunger und die vielen Ungerechtigkeiten in der Welt machen zu dürfen. Vielmehr geht es darum, bei all dem die Hoffnung nicht zu verlieren, weil man durch den Glauben Dinge neu sehen lernt und auch die positiven Potentiale in der Welt entdeckt. „Geborgenheit im Letzten schenkt Gelassenheit im Vorletzten“, schreibt der Philosoph und Priester Romano Guardini. Wer sich von Gott getragen weiß, der kann die Probleme dieser Welt anders betrachten, sozusagen mit Hoffnungspotential und dadurch etwas gelassener.

Kaum zu glauben, was uns das meditative Bogenschießen lehren kann. Mal sehen – vielleicht schaue ich doch mal in Hünfeld vorbei. Schaden kann es jedenfalls nicht …

Musik: Johann Sebastian Bach - Fugue in G Major,BWV 541 – Michel Chapuis - J. S. Bach: L’oeuvre d’orgue 

Musikauswahl: Bischöflicher Zeremoniar Christian Orth, Fulda

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