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Die Bibel: Gottes Wort und Weltliteratur

Alexander Holzbach
Ein Beitrag von Alexander Holzbach, katholischer Pallottinerpater, Limburg
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In den katholischen Gottesdiensten an diesem Sonntagmorgen werden Frauen und Männer wieder ausgewählte Abschnitte aus der Bibel vortragen. Am Ende der Lesung werden sie sagen: „Wort des lebendigen Gottes.“ Und die Gemeinde antwortet mit „Dank sei Gott.“ In den Gottesdiensten wird nicht aus irgendeinem Buch vorgelesen, sondern aus der Bibel.

Unser deutsches Wort kommt vom griechischen „biblos“ und meint eben: das Buch. Das „Buch der Bücher“, wie manche auch sagen. Normalerweise benutzt man im Gottesdienst nicht irgendeine Bibelausgabe, sondern ein eigens dafür gedrucktes besonders schön gebundenes und manchmal auch verziertes Buch. Für Menschen, die an Gott glauben, sammelt die Bibel nicht nur Texte und Zeugnisse aus der Vergangenheit. In den Geschichten und Gebeten von damals steckt Gottes Wort. Deshalb ist die Bibel kein Buch von Gestern. Sie ist immer aktuell. Im Wort der Bibel, davon sind Christinnen und Christen überzeigt, spricht Gott zu uns Menschen. Auch heute.

Die Worte aus der Bibel sind über längere Zeit entstanden

Wenn die Lektorin oder der Lektor im Gottesdienst die Lesung vorgetragen hat, sagt sie oder er nicht „Worte des lebendigen Gottes“, sondern „Wort des lebendigen Gottes“. Ein feiner Unterschied. Denn die Bibel transportiert „Gottes Wort im Menschenwort“, wie es so schön heißt. Denn die Geschichten aus der Bibel sind ja nicht vom Himmel gefallen. Sie sind über Jahrhunderte entstanden aus Erfahrungen von Menschen und Gruppen, die sie ins Wort gebracht haben.

Da ist manches sehr zeitbedingt. Der jeweilige kulturelle Hintergrund spielt eine Rolle. Es ist geradezu verstörend, wie oft auch von Mord und Todschlag die Rede ist, von Missgunst und Neid. Vielfach ist das Bild von der Familie oder das Bild von der Frau ein ganz anders als wir es heute haben. Es gibt glaubende Menschen, die am liebsten solche uns unliebsamen Stellen ausradieren würden. Aber das haben die christlichen Kirchen nie getan.

"Dank sei Gott"

Seit fast 2000 Jahren wird die Bibel als kostbar bewahrt im festen Glauben: hier spricht Gott zum Menschen. Nicht im einzelnen Satz, sondern im Gesamt der Botschaft. Darum kann die Gemeinde nach der Lesung „Dank sei Gott“ sagen. Die Frauen, Männer, Kinder, Jugendliche, die den Gottesdienst mitfeiern, danken für das Wort, das sie gehört haben und das ihnen Mut gibt für den Alltag, Wegweisung, Hilfe.

Viele Christinnen und Christen haben eine oder zwei Bibelstellen, die sie als besonders wertvoll erachten und die sie ein ganzes Leben begleiten – als Richtschnur, als Trost, als Segenswort, als Gewissheit: ich bin nicht allein, Gott ist bei mir. Mir ist das in der Corona-Krise neu zugewachsen, als ich die Geschichte vom brennenden Dornbusch las. Da sagt Gott seinen Namen: Ich bin da! (vgl. Exodus 3,14). In schönen und in schweren Stunden sage ich seitdem: Ja, Du bist da!   

                  

Musik 1: Georg Philipp Telemann, Largo aus dem Violakonzert G-Dur, Stephen Shingles, Viola / Academy of St Martin in the Fields / Sir Neville Marriner (CD: Festliche Tafelmusik; Decca).

 

Die Bibel ist Weltliteratur

Das „Buch der Bücher“, die Bibel ist unverzichtbar für den christlichen Gottesdienst. Aber die Bibel gehört natürlich nicht allein Christinnen und Christen. Schon deswegen, weil der Erste Teil der christlichen Bibel die Heilige Schrift der Jüdinnen und Juden ist. Darüber hinaus bedeutet die Bibel heute Menschen etwas, die weder jüdisch noch christlich sind.

Ursprünglich in Hebräisch, Griechisch und Latein geschrieben, ist die Bibel heute das meist übersetze Buch der Welt. Mittlerweile gibt es die ganze Bibel in über 700 Sprachen; das Neue Testament wurde in mehr als 1600 Sprachen übersetzt. Das „Buch der Bücher“ wird auch außerhalb von Judentum und Christentum gelesen. Von Mahatma Gandhi ist bekannt, wie sehr er die Bibel, besonders das Neue Testament, schätze und Inspiration und Trost daraus zog. Weil die Bibel ein weltweit gelesenes Buch ist, kann man mit Fug und Recht sagen: Sie gehört zu Weltliteratur.

Heute: "Ein Tag für die Literatur"

Ich betone das an diesem Sonntag besonders, weil hr2-kultur und viele andere Akteure den heutigen Sonntag gestalten unter dem Motto: „Ein Tag für die Literatur“. Es gibt in ganz Hessen heute über 100 Veranstaltungen, bei denen sich Menschen treffen, um zu lesen oder vorgelesen zu bekommen – in Bibliotheken, in Archiven, in Sälen oder auf Plätzen. Es geht darum aufzuzeigen, wie wertvoll Lesen ist, wie bereichernd, wie viel Lebensqualität entsteht.

Als ich vom Motto des heutigen Sonntags erfuhr und von den vielen Aktivitäten, fiel mir sofort ein Brief ein, den der verstorbene Papst Franziskus letztes Jahr im Juli veröffentlicht hat. Er trägt den Titel: „Über die Bedeutung der Literatur in der Bildung.“ Er wollte damit, wie er schreibt, „auf den Wert der Lektüre von Romanen und Gedichten auf dem Weg der persönlichen Reifung“ aufmerksam machen. Erst wollte er diesen Brief nur an die Theologiestudenten schreiben, die Priester werden wollen. Aber dann hat er ich dazu entschlossen, sein Anliegen allen Frauen und Männern in der Seelsorge, ja allen Christinnen und Christen mitzuteilen.

Lesen ist nichts Überholtes

Er spricht davon, dass das Buch „in der Langeweile des Urlaubs, in der Hitze und der Einsamkeit verlassender Stadtviertel zu einer Oase“ wird, „die uns von Entscheidungen, die uns nicht gut tun, abhält.“ Franziskus weiter: „Dann gibt es die Momente der Müdigkeit, des Ärgers, der Enttäuschung, des Scheiterns, und wenn es uns nicht einmal im Gebet gelingt, zur Ruhe zu kommen, dann hilft ein gutes Buch zumindest, den Sturm zu überstehen, bis wir ein wenig mehr Gelassenheit finden können… Vor der Allgegenwart von Medien, sozialen Netzwerken, Mobiltelefonen und anderen Geräten war dies eine häufige Erfahrung, und diejenigen, die sie gemacht haben, wissen, wovon ich spreche. Das ist nicht etwas Überholtes.“

Ja, Lesen ist nichts Überholtes. Da spricht Franziskus sicher vielen – auch den Machern von „Ein Tag für die Literatur“ aus dem Herzen. Der verstorbene Papst gibt in diesem Brief viel Einblick in sein eigenes Leben. Einmal schreibt er: „Ich zum Beispiel liebe tragische Künstler, weil wir alle ihre Werke als unsere eigenen empfinden können, als Ausdruck unserer eigenen Dramen. Wenn wir über das Schicksal der Figuren weinen, weinen wir auch über uns selbst und unsere eigene Leere, unsere eigenen Unzulänglichkeiten, unsere eigene Einsamkeit. Natürlich verlange ich nicht von euch, dass ihr zu den gleichen Büchern greift wie ich. Jeder wird die Bücher finden, die sein eigenes Leben ansprechen und zu wahren Wegbegleitern werden.“

Worte können mitten ins Herz treffen

Das Buch als Wegbegleiter. Ich gebe zu, ich habe noch nie ein Buch zwei Mal gelesen. Aber das gibt es. Ich kenne jemanden, der hat „Die Brüder Karamasow“ von Dostojewski vier Mal in seinem Leben gelesen und sagt, der Roman habe ihm in jeder Lebensphase ganz neue Aspekte eröffnet.

Ich verstehe das. Ich entdecke mich oft beim Vorbereiten der Sonntagspredigt, dass mir ein Begriff, ein Satz in einem Evangelium wie neu vorkommt. Da sind Menschenwort und Gottes Wort vergleichbar: Sie treffen das Herz eben in seiner jeweiligen Situation, mal in der Freude, mal in der Not, mal in Trauer, mal im Glück.          

                    

Musik 2: Georg Philipp Telemann, Allegro aus dem Violakonzert G-Dur, Stephen Shingles, Viola / Academy of St Martin in the Fields / Sir Neville Marriner (CD: Festliche Tafelmusik; Decca).

 

Worte vom Heiligen Augustinus

Unser jetziger Papst Leo XIV. stammt aus dem Augustinerorden. Er zitiert darum gerne den Heiligen Augustinus. Als junger Mann war dieser Augustinus ein großer Suchender. So würden wir heute sagen. Allen möglichen Lebensentwürfen und Philosophien war er zugetan. Im Jahr 354 nach Christus in Nordafrika geboren, kam er über Rom nach Mailand und lernte dort das Christentum kennen.

Es gibt die schöne Geschichte, er habe einmal in einem Garten gesessen und plötzlich die Stimme eines Engels oder Kindes gehört, die sagte: tolle, legge. Nimm und lies! Augustinus sieht auf einem Tisch ein Buch liegen; es ist eine Bibel. Er schlägt sie auf und seine Augen fallen auf Vers 13 im 13. Kapitel des Briefes, den Paulus an die Gemeinde in Rom geschrieben hat. Da heißt es: „Lasst uns ehrenhaft leben wie am Tag, ohne maßloses Essen und Trinken, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht!“ (Römer 13,13)

Worte können Leben verändern

Das hat den Mann so gepackt, dass er sich taufen ließ und Christ wurde, ja ein berühmter Bischof und Theologe, der bis heute gelesen wird. Wie mächtig kann das Lesen sein! Ein Buch, ein Satz darin, trifft so sehr ins Leben, dass Menschen verändert weiterleben. Rupert Neudeck zum Beispiel war so sehr von Albert Camus und seinem Buch „Die Pest“ angesprochen, dass dieses Buch mit zur Kraftquelle wurde für eine Seenotrettungen.

Besonders ist auch das Wort mächtig, von dem Christeninnen und Christen glauben, dass Gott darin zu uns spricht: die Bibel. Die Heilige Schrift, wie wir sagen. Denn die Worte, die hier gesammelt sind, sind heilig, will heißen: sie verweisen über das Leben auf dieser Erde hinaus in das Leben in Ewigkeit.

Daran zu glauben, ist nicht immer leicht. Da tut Gemeinschaft im Glauben gut, wie es diejenigen erfahren, die sich Sonntag für Sonntag im Gottesdienst versammeln. Und da tut das persönliche Gespräch mit jemandem gut, der mir sagt, wie er die Dinge sieht.

Diese Worte aus der Bibel gefallen mit besonders gut

In der Osterzeit lesen wir in den Gottesdiensten häufig den Abschnitt aus der Bibel, den wir Apostelgeschichte nennen. Dieses Buch erzählt von der jungen Christengemeinde in Jerusalem und der Ausbreitung des Christentums in der Alten Welt. Im Zusammenhang mit Buch und Bibel und Lesen gefällt mir eine Geschichte besonders.

Es heißt da: „Da war ein Äthiopier, ein Kämmerer, Hofbeamter der Kandake, der Königin der Äthiopier, der über ihrer ganzen Schatzkammer stand. Dieser war gekommen, um in Jerusalem anzubeten, und fuhr jetzt heimwärts. Er saß auf einem Wagen und las den Propheten Jesaja. Der Geist sagte zu Philippus: Geh und folge diesem Wagen! Philippus lief hin und hörte ihn den Propheten Jesaja lesen. Da sagte er: Verstehst du, was du liest? Jener antwortete: Wie könnte ich es, wenn mich niemand anleitet? Und er bat den Philippus einzusteigen und neben ihm Platz zu nehmen.“ (Apg 8, 27-31).

Philippus erschließt dem Äthiopier dann die Stelle aus dem Propheten Jesaja auf Jesus Christus hin, auf dessen Tod und Auferstehung, auf Karfreitag und Ostern. Und der Äthiopier glaubt dem Philippus und lässt sich taufen, wird Christ.

Der Austausch über die Worte ist wichtig

Manchmal trifft ein Wort, das wir lesen, wie von selbst. Manchmal brauchen wir die Hilfe eines - sagen wir – weisen, vertrauenswürdigen Mitmenschen, oder, wie in diesem Zusammenhang: gläubigen Mitmenschen. Darum ist im Gottesdienst die Auslegung des biblischen Textes in der Predigt so wichtig. Ebenso wichtig ist es, dass Getaufte gemeinsam Bibel lesen und sich darüber austauschen, oder auch: dass die biblische Botschaft in den Medien verkündet wird und dass sie immer mal wieder in der sogenannten weltlichen Literatur aufscheint.            

                   

Musik 3: Georg Philipp Telemann, Andante aus dem Violakonzert G-Dur Stephen Shingles, Viola / Academy of St Martin in the Fields / Sir Neville Marriner (CD: Festliche Tafelmusik; Decca).

 

Lesen ist Herzensbildung

Ich möchte noch einmal auf den Brief von Papst Franziskus über den Wert der Literatur zu sprechen kommen. Es geht ihm darum, schreibt er, dass wir „lernen, uns vom Unmittelbaren zu distanzieren, zu verlangsamen, zu betrachten und zuzuhören. Dies kann geschehen, wenn ein Mensch ohne andere Absichten innehält, um ein Buch zu lesen.“ Der Satz gefällt mir, sagt er doch: Lesen soll nicht in erster Linie Bildung im Sinne von Fortbildung sein, sondern Herzensbildung.

Das scheint mir besonders gut zu gelingen, wenn man sich die Zeit und Muße nimmt, Lyrik zu lesen. Ich selbst lese Gedichte lieber, als dass ich sie höre, auch wenn ich manchmal zu einer Lesung gehe. Papst Franziskus spricht übrigens in seinem Brief auch öfters über die Lyrik. Sein Anliegen und der heutige hr2-„Tag für die Literatur“ treffen sich wunderbar in einer der vielen Veranstaltungen, die den Titel hat: „Poesie nimmt der Finsternis die Schwärze und taucht sie in ein Fest des Lichts.“

Dem kann ich nur zustimmen.

Die Bibel ist das Wort Gottes

Auch die Bibel kennt viel Poesie. Die Psalmen. Verse im Buch der Sprichwörter. Worte der Propheten. Wunderbare Gleichnisse, die Jesus erzählt. Ich freue mich, dass die Bibel für viele Weltliteratur ist. Und ich freue mich, dass sie für mich und alle Christinnen und Christen Wort Gottes ist. Für mich spricht in menschengeschriebenen Worten der unendliche Gott zu uns und redet mich dabei ganz persönlich an. Gottes Wort ist manchmal fordernd, es korrigiert, richtet auf und verheißt mir eine Zukunft, die über dieses Leben hinausgeht.                    

Ich möchte meine Gedanken zu Bibel und Büchern abschließen mit dem Text eines Kanons, den ich im Gottesdienst nach der Lesung gerne singe:

 

„Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht;

es hat Hoffnung und Freude gebracht;

es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten,

ist wie ein Stern in der Dunkelheit.“

(Gotteslob Nr. 450)

 

Musik 4: Georg Philipp Telemann, Presto aus dem Violakonzert G-Dur, Stephen Shingles, Viola / Academy of St Martin in the Fields / Sir Neville Marriner (CD: Festliche Tafelmusik; Decca).

 

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