
Mütter der Bibel
Mama in der Geldbörse
Ich hatte sie mir in die Geldbörse gesteckt: Passbilder von meiner Familie – von meiner Schwester, meinem Vater, meiner Mutter. Damals, als ich während meines Studiums ein Jahr in Ausland gegangen bin. Warum ich das damals gemacht habe? Ich wollte sie damals gerne immer um mich haben. Sie waren und sind Menschen, die mir viel bedeuten. Telefonieren war sehr teuer damals, Videokonferenzen gab‘s noch nicht. Die Passbilder haben mir das Gefühl gegeben: Sie sind mit dabei, wenn ich fast 1000 Kilometer weg bin von daheim.
Über 25 Jahre ist das jetzt her. Die Geldbörse habe ich noch. Und auch die alten Passbilder. Ich habe das von meiner Mutter kürzlich mal wieder in den Händen gehabt. Es ist ziemlich verknittert. Meine Mutter blickt darauf ein bisschen ernst drein. Sie trägt einen violetten Blazer, die Haare modisch kurz und noch nicht ganz so grau wie heute.
Bei diesem Passbild kommen mir die Lebensstationen meiner Mutter in den Sinn. Sie hat für ihre Berufsausbildung schon als Teenager ihre Familie und ihr Dorf verlassen. Sie hat leidenschaftlich ihren Beruf ausgeübt – sie war Kinderkrankenschwester. Sie ist zu Hause geblieben, als meine Schwester und ich geboren wurden – damals selbstverständlich. Sie ist dann aber wieder in ihren alten Beruf eingestiegen – zwanzig Jahre lang. Heute ist sie begeistert Oma. Und ich erinnere mich: Sie und mein Vater sind immer für uns da – egal, ob bei Liebeskummer, Wohnungsumzügen oder Berufswahl.
An all das denke ich heute am Muttertag. Ich möchte in der heutigen Morgenfeier eine kleine Reise durch die Bibel machen. Und über die verschiedenen Mütter sprechen, die mir im Buch der Bücher begegnen. Die alle ihre eigenen und speziellen Erfahrungen als Mütter gemacht haben. Besonders beeindruckt haben mich Eva, Sara, Jochebed und Maria, die Mutter Jesu.
Als Musik habe ich die ein oder andere Komposition herausgesucht, die diese Maria zum Thema haben - passend zum Marienmonat Mai, in dem der Muttertag immer liegt.
Musik 1: Freu Dich Du Himmelskönigin (CD Aus meines Herzens Grunde. Die schönsten alten Kirchenlieder. Sarah Wegener Sopran; Kay Johannsen, Orgel. CD 2, Track 11) - 1:45
Eva: Fehler gehören dazu
„Mutter aller Lebendigen“ nennt die Bibel sie (vgl. Genesis 3,20). Wow, das nenne ich mal eine Steilvorlage. Denn größer geht’s ja kaum. Aber so wird sie ganz am Anfang vorgestellt: Eva – die erste Frau in der Bibel. Für die Bibel ist Eva die Urmutter, von der alle Menschen abstammen. Sie ist die gleichwertige Partnerin von Adam. So heißt es im Buch Genesis in der Bibel: „Gott erschuf der Menschen als sein Bild (…) Männlich und weiblich erschuf er sie.“ (Genesis 1,27) Mit ihrem Mann bekommt Eva Kinder – Kain, Abel, Set und noch viele mehr.
Eva erlebt alle Facetten von Muttersein. Auf der einen Seite ist da das Wunder des Lebens: Eva bringt Leben in die Welt, sie sorgt für ihre Kinder, sie erlebt das erste Lachen, die ersten Schritte. Aber auf der anderen Seite ist da auch der Schmerz. Die Bibel erzählt, wie ihre Geburten mit Schmerzen verbunden sind. Und dann bekommt sie mit, wie ihr Sohn Kain den anderen Sohn Abel umbringt (vgl. Genesis 4). Was für eine furchtbare Erfahrung! Trotz dieser Schicksalsschläge gibt Eva nicht auf. Sie macht weiter, bekommt noch mehr Kinder, hält die Familie zusammen. Für mich steht Eva für die Hoffnung und für die Kraft, auch nach Rückschlägen weiterzumachen.
Und natürlich denke ich bei Eva auch an den so genannten Sündenfall. Gemeinsam mit ihrem Mann Adam isst sie Früchte vom Baum der Erkenntnis. Die Folge: Beide werden von Gott aus dem Paradies vertrieben (vgl. Genesis 3). So erzählt es jedenfalls die Bibel. Ich sehe diese Geschichte aber nicht so negativ. Vielmehr zeigt sie mir: Ich muss als Mensch nicht perfekt sein. Ich muss nicht fehlerlos sein. Ein Fehler ist nicht das Ende. Auch Adam und Eva resignieren nicht. Sie wissen, sie haben einen Fehler gemacht. Sie stehen jedoch dafür grade, sie tragen die Konsequenzen. Sie beginnen ein neues Leben. Sie machen weiter – auch ohne Paradies.
Eva – die Mutter aller Lebendigen. Ich finde: Eva wird ihrem Namen mehr als gerecht. Denn sie hat alles erlebt, was Menschsein ausmacht.
Musik 2: Maurice Duruflé: Tota pulchra es – aus „Quatre Motets sur des thèmes grégoriens“ (CD Duruflé. Complete Choral Works. Choir of Trinity College, Cambrige, Richard Marlow, Track 11) – 2:17
Sara: Die Hoffnung nicht aufgeben
Erst kürzlich hat mir ein Bekannter erzählt: Er wird Vater. „Da freust du dich sicher“, habe ich zum ihm gesagt. Und er hat geantwortet: „Ja natürlich, wir haben auch lange genug darauf gewartet – fast zehn Jahre.“ Da habe ich mich erstmal hingesetzt. Zehn Jahre auf ein Kind warten – das ist echt eine lange Zeit. Eine Zeit des Hoffens und Bangens, eine Zeit, in der man immer wieder enttäuscht wird. Oft eine große Belastung für ein Paar. Umso glücklicher war mein Bekannter.
So ist es wahrscheinlich auch Sara und Abraham gegangen. Sie hatten ein großes Versprechen Gottes im Gepäck. Nämlich: Dass sie die Eltern eines großen Volkes sein werden. Deswegen sind sie gemeinsam aus ihrer Heimat aufgebrochen, sind durch viele verschiedene Länder gezogen, haben sicher viel erlebt. Aber da war ein großes Problem: Sara konnte keine Kinder bekommen. Jahr für Jahr verging, und die Hoffnung schien immer kleiner zu werden. Ich stelle mir vor, wie sehr sie sich ein Kind gewünscht hat – und wie schmerzhaft es war, immer wieder enttäuscht zu werden.
Irgendwann ist Sara völlig verzweifelt gewesen. Sie hat Abraham vorgeschlagen, mit ihrer Magd ein Kind zu bekommen. Das war damals üblich, aber es brachte viel Unruhe in die Familie. Die Magd bekam tatsächlich einen Sohn. Und wie zu erwarten war: Das Verhältnis zwischen den beiden Frauen wird schwierig, spannungsvoll. Sara schickt die Magd mit dem Sohn schließlich weg. Will beide nicht mehr sehen – eine krasse Entscheidung!
Aber trotzdem: Gott vergisst Sara nicht. Als sie schon alt war – wirklich alt, sie war schon 90 – kam die unglaubliche Nachricht: Sie würde doch noch ein eigenes Kind bekommen. Sara kann es selbst kaum glauben und muss lachen, als sie davon hört. Aber genau das passiert: Sie bekommt einen Sohn. Sie nennt ihn Isaak. Sie nennt ihn so, weil es sie fröhlich gemacht hat. Weil sie über dieses Wunder lachen musste.
Saras Geschichte als Mutter ist also eine Geschichte von Warten, Zweifeln, Hoffen und am Ende von Freude. Sie zeigt: Manchmal werden Dinge möglich, auch wenn man sie sich nicht vorstellen kann. Saras Geschichte macht Mut. Sie macht Mut, nicht aufzugeben, auch wenn es lange dauert und die Hoffnung fast verloren scheint. Und sie zeigt mir: Gott tut vielleicht gerade dann ein Wunder, wenn ich es am wenigsten erwarte. Sara ist eine Mutter, die hofft, zweifelt, kämpft und am Ende doch lachen darf vor Freude.
Musik 3: Ich lobe meinen Gott von ganzem Herzen (CD morgenlicht. Kirchenlieder und Choräle. Rundfunkchor Berlin; Simon Halsey; Track 13) – 2.33
Jochebed: Liebe heißt loslassen
Ich bin mal gespannt, wie es sein wird. Wie es sein wird, wenn meine Kinder von zuhause ausziehen. Wenn wir ihre Möbel in einen Transporter packen, ihre Klamotten in Koffer, ihre Bücher in Umzugskisten. Wenn sie nicht mehr Tag und Nacht bei uns zuhause sind, sondern beginnen, ihr eigenes Leben zu leben. Ganz so lang ist das gar nicht mehr hin. Ganz ehrlich: Ich fürchte mich ein bisschen vor diesem Tag.
Vielleicht denke ich dann ein bisschen an Jochebed. Jochebed ist eine der eher unbekannteren Mütter in der Bibel. Jochebed ist die Mutter von Mose, der einmal das Volk Israel aus Ägypten führen wird. Jochebed hat als junge hebräische Mutter im alten Ägypten gelebt. Und da erlebt sie Furchtbares. Denn der Pharao befiehlt: Jeder neugeborene hebräische Junge wird getötet. Drei Monate hat Jochebed ihren Sohn versteckt, während draußen Soldaten suchten. Doch irgendwann ist kein Versteck mehr sicher gewesen. Da packt sie Schilfrohr, Pech und Teer – und baut einen winzigen Korb. Ein Boot für ihr Baby. Sie legt Mose hinein, setzt ihn im Schilf des Nils aus. Das kleine Boot treibt auf dem Nil. Dann passiert das Unerwartete: Die Tochter des Pharaos findet das Kind, hat Mitleid – und lässt es retten. Jochebeds Kind überlebt. (vgl. Exodus 5,20; 2,1-10)
Auf den ersten Blick wirkt die alte Geschichte aus der Bibel natürlich fremd. Aber ich bleibe an dem Gedanken hängen: Diese Mutter Jochebed gibt ihren Sohn weg, um ihn zu retten. Sie lässt los – damit er am Leben bleibt. Manchmal heißt Liebe eben: loslassen. Wenn ich meine kleine Tochter am ersten Tag im Kindergarten zurücklasse. Wenn ich meinen Sohn zum ersten Mal alleine in den Zug setze – oder eben: Wenn irgendwann meine Kinder ausziehen werden von zuhause. Loslassen bedeutet: Vertrauen zu wagen, auch wenn es wehtut.
Musik 4: Joseph Rheinberger „Abendlied“ (CD „Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901) – Cantus Missae“, Kammerchor Stuttgart unter Leitung von Frieder Bernius, Carus, Track 14, 0:00-1:10)
Maria: Gott ist mit mir
Über einen Verwandtenbesuch, so sagt man ja, freut man sich zweimal. Einmal, wenn der Besuch kommt. Und einmal, wenn er wieder geht. Von einem ganz besonderen Verwandtenbesuch erzählt auch die Bibel: Die schwangere Maria macht sich auf den Weg, um ihre Verwandte Elisabet zu besuchen, die auch schwanger ist. Maria wird Jesus auf die Welt bringen, und Elisabet Johannes den Täufer.
Für beide Frauen sind die Schwangerschaften eine große Herausforderung. Die Bibel erzählt, dass Elisabet alt ist und eigentlich keine Kinder mehr bekommen konnte. Jetzt hat sich ihr Leben plötzlich auf den Kopf gestellt, sie ist bereits im sechsten Monat schwanger. Und Maria? Sie ist, so würde man vielleicht heute sagen, ungewollt schwanger. Ohne die Sicherheit einer Ehe, ohne den Schutz eines Ehemanns. Möglicherweise hat sie bei der älteren Elisabet Rat und Beistand gesucht. Vielleicht war sie unsicher, hat gezweifelt. Gerne würde ich wissen, worüber sich die beiden Frauen wohl unterhalten haben. Wie sie sich gegenseitig über ihre Ängste und Sorgen als werdende Mütter erzählt haben. Nicht umsonst ist Maria drei Monate bei Elisabet geblieben. Und vielleicht hat Maria diese Zeit genutzt, um sich auf das vorzubereiten, was kommen wird: Die Geburt ihres Kindes, das ein Engel zuvor „heilig“ und „Sohn Gottes“ genannt hat. Was für eine Aufgabe wartet auf diese junge Frau!
Vielleicht zweifelt Maria. Aber: Sie verzweifelt nicht. Denn Marias Besuch bei Elisabet ist auch eine Geschichte des großen Gottvertrauens. Davon zeugt der Lobgesang Marias, der auch zu dieser Geschichte gehört. Denn trotz einer ungewissen Zukunft kann Maria beten: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan und sein Name ist heilig.“ (Lukas-Evangelium 1,46-49) Magnificat wird dieser Lobgesang genannt. Und ich finde: Hier betet eine junge Frau, die plötzlich Mutter wird: demütig, aber auch voller Kraft, Freude und Selbstbewusstsein. Jedes Mal, wenn ich dieses Gebet spreche, berührt es mich tief. Denn es sagt mir: Gott ist mit mir – trotz aller Schwierigkeiten, die das Leben bringen kann. Vertraue auf ihn.
Musik 5: Johann Sebastian Bach, Magnificat, Eingangschor (CD Magnificat, Das Kleine Konzert, Rheinische Kantorei, Hermann Max, CD 1, Track 1) – 2:44
Dankbar
Der Muttertag ist ja kein kirchlicher Feiertag. Tatsächlich wurde er in Deutschland Anfang der 1920er Jahre vom Verband Deutscher Blumengeschäftsinhaber etabliert. Man plakatierte die Schaufenster mit „Ehret die Mutter“ und regte so einen „Tag der Blumenwünsche“ an. Regelmäßig wird der Muttertag kritisiert. Nicht zuletzt, weil sich das Bild von Frau, Mutter und Familie in unserer Gesellschaft geändert hat.
Jenseits dieser Diskussionen, jenseits von Blumensträußen und Geschenken bin ich heute vor allem eines: dankbar. Dankbar, dass meine Mutter noch immer mein Leben begleitet. Auch wenn natürlich nicht immer alles eitel Sonnenschein war. Und wir unsere Auseinandersetzungen hatten. Ich stelle mir vor: So hat sicher jeder Mensch seine Erinnerungen an die eigene Mutter – seien es gute, schwierige, angespannte, traurige oder wehmütige Erinnerungen. Und auch in der Bibel gibt es ganz verschiedene Mütter. Meine kleine Reise durch die Bibel sollte davon einen Einblick geben.
Schließen möchte ich mit einem kleinen Gebet. Darin wird Gott selbst Mutter genannt – die Bibel kennt diese Vorstellung auch schon, und mir gefällt sie sehr. Das Gebet geht so: „Guter Gott, deinen mütterlichen Segen erbitten wir. Deine Zärtlichkeit und Liebe umfange und halte uns. Deine Kraft stachle uns an. Deine Weisheit sei unsere Ratgeberin. Heute, morgen und immer. So segne uns Gott, uns Mutter und Vater. Amen.“ (in Abwandlung des Segensgebets von: https://feministische-theologinnen.ch/wp-content/uploads/2012/04/Muttertag.pdf)
Musik 6: Johann Sebastian Bach, Magnificat, Schlusschöre (CD Magnificat, Das Kleine Konzert, Rheinische Kantorei, Hermann Max, CD 1, Track 16 und 17) – 2:53 mit Fade out ggf.