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Beten – warum eigentlich und wie?
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Beten – warum eigentlich und wie?

Marcus Vogler
Ein Beitrag von Marcus Vogler, Leitender katholischer Pfarrer der Pfarrei St. Bonifatius Amöneburger Land
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„Heiliger Schutzengel mein, lass mich dir empfohlen sein. Tag und Nacht, ich bitte dich, beschütze, führ' und leite mich. Hilf mir leben recht und fromm, damit ich zu dir in den Himmel komm. Amen.“ Sicherlich kennen viele von Ihnen das schöne Kindergebet.

Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen dieses Gebet auch von den Eltern oder Großeltern gehört und auswendig gelernt. Solche Kindergebete sind gut und können zu hilfreichen Ritualen werden. Aber manchmal verstehen Kinder gar nicht so recht, was sie da beten. Eine Großmutter hatte ihrem aufgeweckten Enkel das zu Beginn genannte Schutzengelgebet gelehrt. Zuerst betete er es mit Freude. Doch eines Tages wollte er es nicht mehr beten. Der enttäuschten Großmutter sagte er: „Ich bin doch kein Pferd!“

Die wahre Bedeutung des Betens

„Wie kommst du darauf?“ „Ja, ich soll beten‚ lass mich dir ein Fohlen sein!“ (anstatt empfohlen) D. h. hier wurde von dem Kind jahrelang etwas gebetet, ohne es wirklich zu verstehen. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, stelle ich fest, dass Beten für mich lange bedeutete, fest formulierte Gebete aufzusagen. Ich habe das auch in großer Freude getan, und sicher hat Gott darin auch gewirkt. Doch eines Tages kann es einem irgendwann so ergehen wie einem Jugendlichen, der keine Lust mehr hatte, das Abendgebet zu beten. So sagte er: „Lieber Gott, Du kannst es selbst auf Seite 15 nachlesen.“ Das zeigt: Irgendwann merkt der Mensch, dass solches Beten leer machen kann, wenn nicht etwas Neues hinzukommt. Daraus ergibt sich für mich eine ganz entscheidende Frage: Was ist eigentlich das Gebet? Und ich möchte noch präziser fragen: Was verstehen Christen unter Beten?

Musik: Robert Schumann – Locky Chung (Bariton), Manabu Matsukawa (Piano) – Gebet - The songs of Robert Schumann 

Meditieren oder Beten?

Was bedeutet beten? Als erstes möchte ich „beten“ abgrenzen zu „Meditation“. Den Unterschied zwischen Gebet und Meditation möchte ich mit dem Bild von zwei Liebenden sichtbar machen: Das Meditieren ist ein Nachsinnen und Nachdenken des Liebenden über den Geliebten. Das Beten ist die direkte Begegnung, das unmittelbare Gespräch mit ihm. Wenn ich bete, wende ich mich nicht an andere Menschen, sondern an Gott. Der Adressat des christlichen Gebets ist Gott selbst.

Im Gebet geht es immer um einen Dialog mit dem lebendigen Gott. Um eine Beziehung, um ein Gespräch. Dabei ist Gott kein unnahbares Wesen. Gott ist ein persönlicher Gott. Er ist als Gegenüber erfahrbar. Jesus selbst lehrte ihn, Abba zu nennen. Das bedeutet im Aramäischen, also in der Sprache Jesu: Papa.

Beten als die persönliche Beziehung zu Gott

Es ist ein riesiges Geschenk, dass wir als Menschen mit diesem gewaltig großen und liebenden Gott eine solch innige Gemeinschaft haben dürfen. Darüber kann ich nur staunen und dafür danken. Den Zugang zu Gott als Vater haben wir Menschen nur durch Jesus Christus. Jesus ist der Zugang, die Tür, der Weg zum Vater. Das ist auch der Grund, warum viele christliche Gebete, besonders in der Liturgie, mit dem Satz enden: „Darum bitten wir durch Jesus Christus, unseren Herrn. Amen.“ Das will keine Floskel sein, sondern hier wird deutlich: Beim Beten nimmt uns Jesus Christus mit zum Vater.

Beten ist Klagen, Trösten, Bitten, Danken, Loben

Eine weitere Frage schließt sich an: Warum soll ich denn eigentlich beten, wenn Gott allmächtig ist und aus diesem Grund doch sowieso schon alles weiß? Würde es beim Beten rein um den Austausch von Informationen gehen, dann wäre das Beten tatsächlich überflüssig. Doch Beten ist mehr. Es geht hier um eine Beziehung. Vielleicht haben Sie in Ihrem Leben auch schon diese Erfahrung machen können: Sie sind mit einem Menschen im Gespräch, der Ihnen mit größter Aufmerksamkeit und Anteilnahme zuhört. Plötzlich merken Sie, dass Sie Dinge sagen, die Sie selbst noch nie gedacht haben und die Ihnen vorher überhaupt nicht bewusst waren.

So ist es auch mit Gott, wenn wir mit ihm in einer Beziehung leben. Die Sprache und das Vertrauen sind wesentliche Mittel, damit der Mensch sich der Beziehung bewusst wird und in ihr wächst. Deshalb ist es für mich als Mensch notwendig und wichtig, dass ich Gott sage, wo ich stehe, was ich ersehne, was ich nicht kann, was mich plagt und was ich suche. Wenn ich mit Gott über diese Dinge rede, trete ich mit ihm in eine Beziehung ein, wie ich auch zu anderen Menschen durch meine Sprache eine Beziehung aufbaue.

Natürlich ist das Bitten nicht die einzige Form, wie ich mit Gott sprechen soll. Denn keine Beziehung kann auf Dauer überleben, wenn der eine Gesprächspartner immer nur bittet. Andere Arten des Betens sind Danken, Loben, Klagen, meine Sünden und Fehler bekennen oder Gott anbeten. Es gibt auch das wortlose Gebet, das stille Zusammensein mit ihm, das einfache sich Ausruhen in seiner Gegenwart. Ich kann Gott lieben und mich von ihm lieben lassen oder mich bei ihm ausweinen und trösten lassen. All das, das bewusste Zusammensein mit Gott, ist Beten. Der erste Grund des Betens ist also: Ich darf und soll meine Beziehung mit Gott vertiefen.

Musik: Merete Hjortso - Jorgen Haldor Hansen - Priere a notre dame - Klassisk Jul 

Der zweite Grund, warum ich als Christ beten soll, ist das Vorbild Jesu. Das Geheimnis des Lebens Jesu war seine Beziehung zum Vater. Da fühlte er sich geborgen und gehalten. Immer wieder heißt es in der Schrift, dass Jesus sich zum Gebet zurückzog. Hier genoss er die Liebe seines Vaters. Im Gebet „tankte“ Jesus selbst seine Liebe auf. Weil Jesus auch mir und allen Menschen diese Quelle eröffnen wollte, weil er mich und jeden Menschen in die Beziehung zu seinem Vater einführen wollte, lehrte er seine Jünger beten: „Wenn ihr betet, so sprecht: Vater unser im Himmel ...“ (Lk 11,3)

Der dritte Grund, warum Beten wichtig ist, lautet: Gebet kann ausweglose Situationen verändern: Menschen gehen wieder aufeinander zu und reichen einander die Hand und plötzlich ist ein jahrelanger Streit beendet. Aber noch entscheidender ist für mich die Erfahrung, dass das Gebet mich selbst als Beter verändert, auch wenn die Situation ausweglos bleibt.

Beten stärkt und verändert auch mich

Das Gebet verändert mich, sodass ich verschiedene Situationen anders sehe und einschätze und sie sich dadurch auflösen oder zum Guten hinwenden. Das Gebet verändert mich als Beter und den, für den ich bete und auf einmal habe ich oder der andere die Kraft, das Kreuz seines Lebens zu tragen. Das sind nur wenige Beispiele, die deutlich machen, wie sehr ich als Mensch das Gebet brauche! Aber spätestens an dieser Stelle stoße ich auf ein großes Problem: Warum erhört Gott manche Gebete nicht so, wie ich mir das wünsche? Das ist wirklich eine schwierige Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist.

Aber auch dafür gibt es Gründe, von denen ich mir einige mit Ihnen gemeinsam anschauen möchte: Manchmal kann Gott Gebete nicht erhören, weil deren Erhörung für mich nicht gut wäre. Ich denke an den fünfjährigen Max: Max hasste es, die Zähne zu putzen. Immer, wenn ihn seine Mutter dazu aufforderte, stöhnte und klagte er. Er wollte seine Zähne einfach nicht putzen. Schließlich ging er eines Tages zu seinem Großvater in die Ferien. Ja, und was sah er am Abend? Großvater hatte es gut. Er konnte seine Zähne einfach herausnehmen, diese und eine Tablette in ein Glas geben, und dann sprudelte es herrlich. «Das ist es!»,dachte Max. Am Abend ging er ins Bett, faltete die Hände und betete. „Lieber Gott, ich bitte dich, gib mir solche Zähne, wie der Großvater sie hat!“ - Wenn er augenblicklich solche Zähne bekäme, wäre Gott dann gut? – Wohl kaum! So ist es oft in meinem Leben: Viele Bitten und Wünsche, die ich habe, sind kurzsichtig und auf das ganze Leben bezogen, nicht gut.

Warum Gott nicht alle Wünsche und Bitten erhört

Darum erhört Gott nicht alle Wünsche. Seine Erhörung besteht oft darin, mir Sinn, Einsicht, Kraft und Freude zu geben. Oft möchte mir Gott, wenn er mich nicht sofort erhört, etwas lehren, was mir mehr dient als die sofortige Erhörung. Ich darf dann auch nachfragen: Was möchtest du mich lehren? Es gibt manchmal auch Situationen, in denen mir das «Nein» Gottes unverständlich bleibt. Ich kenne das auch aus meinem Leben. Dann ist mein Vertrauen gefordert, und das kann hart sein. Manchmal will Gott in mir Geduld, Beharrlichkeit und Vertrauen wachsen lassen.

 Ein weiterer Grund, warum Gott meine Gebete nicht erhört, sind falsche und unreine Motive: Ein Junge betete zum Beispiel: „Lieber Gott, gib mir viel Kraft, damit ich den Michael zusammenschlagen kann!“ Hier ist das falsche Motiv offensichtlich. Manchmal sind aber die unreinen Motive tief in mir verborgen. Ich entdecke erst nach und nach, dass es mir um meine Anerkennung, um meinen Egoismus, um meinen Einfluss usw. ging. Oder ich stelle fest, dass Neid und Eifersucht im Spiel waren. Und deswegen erhört Gott so manches Gebet nicht.

Es ist wie bei einer Ampel: Grün bedeutet im übertragenen Sinn: Das Gebet wird sofort erhört. Dafür gibt es viele Zeugnisse. Gelb bedeutet in diesem Zusammenhang: Das Gebet wird später erhört, da im Moment des ersten Gebetes noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür da ist. Rot bedeutet dann: Das Gebet wird nicht erhört. Auch das gibt es, wenn z. B. ein Schwerverletzter nicht gesund wird, sondern an den Folgen des Unfalls stirbt.

Es gibt noch viele weitere Gründe, warum Gott so manche Gebete nicht erhören kann und auch nicht erhören möchte, aber dies würde den Rahmen dieser Morgenfeier sprengen.

Musik: Felix Mendelsohn - Daniel Barenboim – Lied ohne Worte - Mendelsohn – Lieder ohne Worte 

Beten, aber wie?

So bleibt schließlich noch die Frage nach dem „Wie“? Wie kann und soll ich denn beten? – Weil Beten eine Beziehung von Herz zu Herz ist, darf ich als Mensch mit Gott sprechen, so wie es mir gerade innerlich zumute ist. Ich darf mit Gott sprechen wie mit einem guten Freund. Denken Sie an das Beziehungs-Geschehen: Weil Beten eine Beziehung mit Gott ist, bin ich eingeladen, ihn an meinem Leben Anteil nehmen zu lassen - an meinen Sorgen und Nöten, aber auch an meinen Freuden und an meinem Dank. Dazu braucht es keine wohlgeformten und heiligen Worte: Ich darf mit Gott so sprechen „wie mir der Schnabel gewachsen ist“.

Je mehr das Gebet wirklich aus meinen Herzen heraussprudelt, desto wertvoller ist es bei Gott. Aus meinem Herzen heraus darf und soll ich meinen Gott anbeten und loben. Ich darf und soll ihm aber auch danken. Ebenso darf und soll ich ihm meine Schuld bekennen und ihn um Vergebung bitten, für alles, was ich falsch gemacht habe. Natürlich darf und soll ich ihm auch meine Anliegen nennen und für mich selbst beten und für alle, die mir am Herzen liegen. Gott setzt sogar noch einen obendrauf: Ich soll auch für die Menschen beten, die mir Böses anhaben wollen und die ich nicht leiden kann.

Man muss dranbelieben

Sie merken es: Beten darf und muss ich immer wieder lernen und einüben. Aber wie das mit jedem Lernen ist: Ich muss irgendwann damit anfangen und es auch tun. Deshalb soll es auch im Tagesablauf eines Christen keine wichtigere Sache geben als das Beten. Hierbei ist nicht die Länge der Gebete entscheidend, sondern die Intensität.

Ein Konzertpianist sagte: „Wenn ich einen Tag nicht übe, merke ich es. Wenn ich zwei Tage nicht übe, merken es meine Freunde. Wenn ich drei Tage nicht übe, merkt es das Publikum.“ Ähnlich ist es mit dem Beten: „Wenn ich einen Tag nicht bete, merkt es Gott. Wenn ich zwei Tage nicht bete, spüre ich es selbst. Wenn ich drei Tage nicht bete, spürt es meine Umgebung.“

Ich möchte Sie ermuntern und ermutigen, das Beten immer wieder auszuprobieren. Fangen Sie immer wieder damit an und beobachten Sie aufmerksam, was dann alles geschieht.

Musik: John Rutter -The Cambridge Singers - Open thou mine eyes - The very best of John Rutter 

Musikauswahl: Regionalkantor Ludwig Zeisberg, Eschwege

 

 

 

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