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Versuchung und Klärung
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Versuchung und Klärung

Martina Patenge
Ein Beitrag von Martina Patenge, Katholische Referentin für Glaubensvertiefung und Spiritualität, Kardinal-Volk-Haus Bingen
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Was mag in einem Menschen vorgehen, der scheinbar von heute auf morgen freiwillig alles aufgibt, was bisher wichtig war: Beruf, Titel, festes Einkommen – um einer neuen Aufgabe nachzugehen? Immer wieder begegnen mir Menschen mit solchen Lebenswegen. Wie zum Beispiel die Frau, die überraschend eine Buchhandlung übernommen hat und damit glücklich geworden ist, trotz mancher wirtschaftlichen Sorgen. Eigentlich verrückt, oder? 

"Ich konnte nicht anders"

Bei allen, die so einen Weg gehen, gibt es eine Ähnlichkeit: eine solche Kehrtwende entsteht eher nicht zuerst im Kopf. Sondern kommt ganz von innen. Da reift irgendwann im Herzen der Wunsch nach einer großen Veränderung. So jedenfalls haben es mir Menschen erzählt, die einen solchen Weg gegangen sind. Häufiger fällt dann: „Ich konnte nicht anders“. Verbunden mit einem ungläubigen Lächeln über den eigenen Mut und wie der Herzenswunsch dann tatsächlich Wirklichkeit geworden ist. Und manche erzählen von dem plötzlichen Moment einer Eingebung, die ihr Leben verändert hat – ohne dass sie das wirklich zuvor geplant hätten. 

Was gewinne ich dabei?

Umgangssprachlich sagen wir manchmal „Spätberufene“ zu solchen Menschen. Denn ihr Weg zeichnet sich dadurch aus, dass sie einer inneren Berufung gefolgt sind, die irgendwie unerklärlich bleibt. Dieser starke innere Ruf lässt viele auch durchhalten. Denn natürlich gelingt so ein Wechsel selten ohne Krisen und schlaflose Nächte. Nicht ohne Mühe. Auch nicht ohne Rechenstift. Die große Frage heißt ja: Schaffe ich das? Was wird mich diese Veränderung kosten, finanziell und menschlich? Die noch viel größere Frage heißt: Was gewinne ich dabei?  

In seinem Leben ändert sich alles!

In der Bibel gibt es viele Geschichten von solchen Berufungen und überraschenden Wendungen im Lebenslauf. Die bedeutendste Berufungsgeschichte ist sicher die von Jesus. Ich habe mich das schon oft gefragt: Wie kommt der Handwerker Jesus mitten in seinem Leben dazu, auf einmal ein Wanderprediger zu werden und Leute um sich zu scharen? Anscheinend hat es mit seiner Taufe als Erwachsener zu tun. Da steht er mit unzähligen anderen im Jordan und will von dem Propheten Johannes getauft werden wie so viele andere, als Zeichen der Umkehr. In diesem Moment passiert etwas mit ihm. Die Bibel beschreibt das so: „Während er betete, öffnete sich der Himmel und der Heilige Geist kam sichtbar in Gestalt einer Taube auf ihn herab und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“  Was auch immer Jesus in dem Moment verstanden hat, wissen wir nicht. Aber in seinem Leben ändert sich alles! Die Bibel schreibt weiter: „Erfüllt vom Heiligen Geist, kehrte Jesus vom Jordan zurück. Er wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt, vierzig Tage lang, und er wurde vom Teufel versucht.“  (Lk 3,21.22 und 4,1) 

Musik 1: Johann Hermann Schein (1586-1630): Christ unser Herr zum Jordan kam (CD: Lamento, Iestyn Davies, Fretwork, Silas Wollston, Hugh Cutting, Track 17, Fadeout bei 2:12). 

Was will denn Gott von mir?

Ohne Hintergedanken ist Jesus vermutlich zu dieser Taufe gegangen, stelle ich mir vor. So wie viele andere Menschen damals auch. Sie sind dem Propheten Johannes gefolgt, der da im Wasser steht. Der spricht den vielen Menschen einen Neuanfang mit Gott zu. Ein neues Lebensgefühl. Und da steht eben auch der Handwerker Jesus, von dem es heißt, dass er „etwa 30 Jahre alt“ war. Öffentlich war er bisher nicht in Erscheinung getreten. Und er tut es zunächst auch nach dieser Szene am Fluss noch nicht. Nach dieser überraschenden Erleuchtung muss er sich erst einmal sortieren. Und macht es wie der Täufer Johannes zuvor, der lange in der Wüste gelebt hat und dort zum Propheten gereift ist. Auch Jesus geht „in die Wüste“. Auch er muss irgendwie verstehen, was da mit ihm geschehen ist bei dieser Taufe. Muss nachdenken, nachfühlen, klarer werden. Nach einem Moment des Glücks kommt in solchen Fällen meist das Erschrecken: Was ist mit mir passiert und was soll ich daraus machen? Was will Gott von mir? Und um Himmels willen, was bedeutet die Zusage: Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden?  

Solche Phasen sind immer wichtig

Wüstenzeit ist ein anderes Wort für intensiven Rückzug, Nachdenken, Selbstfindung. Solche Phasen sind immer wichtig, um sich zu klären: Wer bin ich, was soll ich, und wie geht das? Leicht ist das selten. Sondern erst mal mühsam, leer und trocken, es wachsen noch keine Ideen. Von Jesus heißt es: „Er aß nichts.“ Wirkliches Fasten kann helfen, klarer zu werden. Aber auch im übertragenen Sinn: Wie Jesus bisher gelebt hat, das nährt ihn nicht mehr. Er muss sich und seine Rolle neu finden. So ein aufgewühlter Jesus braucht vermutlich einige Zeit, bis er sich zurechtfindet in der neuen Lebensphase. Die Gedanken schlagen Purzelbäume, allerlei hilfreiche und genauso viele verstörende Gedanken beschäftigen ihn... in der Sprache des Lukasevangeliums: „er wurde vom Teufel versucht“.  Diese Versuchung passiert gleich dreimal hintereinander, der Teufel ist ziemlich   hartnäckig.  

Und nun beginnt ein regelrechter Kampf

Er schlägt dem durch das Fasten sehr hungrig gewordenen Jesus vor: „Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden.“ Und nun beginnt ein regelrechter Kampf zwischen den teuflischen Vorschlägen und der Antwort, die Jesus darauf findet.  Jesus sagt: „Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.  

Da führte der Teufel ihn auf einen Berg hinauf und zeigte ihm in einem Augenblick alle Reiche des Erdkreises. Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören. Aber auch hier kennt      Jesus die Thora und weiß sich zu helfen: „Es steht geschrieben: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“  

Zweimal hat Jesus gut gekontert.Aber noch hat er nicht gewonnen.   

Teuflische Stimmen malen ihm solche Möglichkeiten aus

Denn jetzt führt der Teufel ihn nach Jerusalem und aufs Dach des Tempels und sagt zu ihm: „Wenn du Gottes Sohn bist, so stürze dich von hier hinab; denn es steht geschrieben: Seinen Engeln befiehlt er deinetwegen, dich zu behüten; und: Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt. Da antwortete ihm Jesus: Es ist gesagt: Du sollst den Herrn, Deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.

Jesus hat gewonnen. Er ist standhaft geblieben und hat den teuflischen Ideen nicht nachgegeben. Für eine gewisse Zeit hat er erst mal Ruhe vor solchen Versuchungen(Lk 4,2-13). 

Musik 2: Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847): Orgelsonate in c-Moll Op. 65 Nr. 2 - I. Grave (CD: Mendelssohn Orgelwerke, Peter Kranefoed, Track 7, 1:24). 

Das Lukasevangelium erzählt von einem mühsamen Klärungsprozess, den Jesus durchlaufen musste. Als ihm seine besondere Rolle als Gottes geliebter Sohn deutlich geworden ist, gerät er in allerlei Versuchungen. Jesus ringt mit sich und mit wüsten Phantasien, was alles aus ihm werden könnte. Teuflische Stimmen malen ihm verlockende Möglichkeiten aus. Wie wäre es mit Macht und Reichtum? Diese inneren Kämpfe stelle ich mir wirklich als eine mühsame Wüstenzeit vor. Wir können Jesus dabei zuschauen, wie er sich erst allmählich zu seiner neuen Aufgabe durchringt. Welchen Weg er gehen will – und welche Wege er nicht gehen will. 

Sie betreffen immer die Welt und deren Schicksal

Das Lukasevangelium gestaltet daraus eine dramatische Erzählung vom Teufel, der Jesus verschiedene sehr verlockende Angebote macht: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann könntest du doch…“ -  Macht und Machtmissbrauch sind die großen Gefahren. Die mögliche Erwartung von Privilegien. Selbstüberschätzung. Und die abgründige Verführung, vor dem Bösen der Welt niederzuknien. Das alles sind Gefährdungen, vor denen niemand je ganz frei ist. Sie betreffen uns Menschen, Fromme wie Nicht-Fromme. Sie betreffen Institutionen und deren Führungspersonal, auch die Kirchen. Sie betreffen Länder und ihre Regierungen. Sie betreffen immer auch die Welt und deren Schicksal. 

Musik 3: Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847): Orgelsonate in c-Moll Op. 65 Nr. 2 - II. Adagio (CD: Mendelssohn Orgelwerke, Peter Kranefoed, Track 8, Fadeout bei 1:45). 

Die Bibel-Erzählung von der Versuchung Jesu zeigt, dass Jesus wirklich ganz und gar Mensch ist. Nichts Menschliches bleibt ihm fremd, auch nicht der Blick in die Abgründe der eigenen Seele und in die eigene Verletzlichkeit. Und so kämpft er sich durch drei elementare Fragen zu seiner Berufung.

Sollte er das denn ausprobieren?

Die erste ist die nach sehr egoistischen Zielen: „Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl diesem Stein, zu Brot zu werden.“  Sollte er das ausprobieren? Wie einfach wäre es dann, den eigenen Hunger zu stillen. Wie großartig könnte es sein, als der große Zauberer aufzutreten, der ein für allemal den Hunger auf der Welt beseitigt. Und ja, ganz ehrlich: das wäre großartig für all diejenigen, die noch immer nicht genug zu essen haben! Der Ruf Jesu als Wohltäter aller Generationen wäre ihm für immer sicher. Wie verlockend das ist! 

Aber Jesus kennt als gläubiger Jude seine Thora, und daraus den Lehrsatz: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot, sondern von allem, was der Mund des Herrn spricht.“ (Dtn 8,3)

Ja, Brot ist wichtig. Vor allem für die, die keins haben. Darum müssen wir Menschen uns kümmern, ernsthaft – individuell und mit Hilfe von Einrichtungen und Hilfswerken. 

Er wird Gottes besonderer Übersetzer

Doch Jesus spürt in seinen einsamen Tagen und Nächten in der Wüste: Seine Berufung hat einen anderen Schwerpunkt. Er soll den Menschen von Gott erzählen. Er wird Gottes besonderer Übersetzer. Lässt sich später Geschichten einfallen und Zeichen, damit die Menschen spüren und hören, was Gott ihnen sagen möchte. Er ernährt sie auf andere Weise. Wie sie leben können aus Gottes Liebe. Und wie sie das einander zeigen sollen. Dazu gehört durchaus auch, einander soziale Hilfe zu leisten statt nur an sich selbst zu denken. 

Eine zweite große Frage beschäftigt Jesus, die Frage nach der Macht. Das Evangelium formuliert so: „Der Teufel führte ihn auf einen Berg hinauf...und sagte:All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; ...ich gebe sie, wem ich will. Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören.“ 

Wirklich christlich ist sehr anders! 

Diese Versuchung ist brandgefährlich – der buchstäbliche Pakt mit dem Teufel: Das eigene Machtgefühl verstärken, egal um welchen Preis. Auch um den Preis des Bösen, mit Gewalt und Brutalität. Dem Triumph und der erhobenen Faust alles Menschliche, auch alle Werte opfern, ohne Rücksicht darauf, was das für die Welt, für die anderen Menschen bedeutet. Aber auch dem wird Jesus widerstehen. Für ihn gilt: „Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.“ (Dtn 5,9) Generationen nach Jesus ist diese Versuchung längst nicht ausgerottet, die eigenen „christlich“ genannten Absichten auch mit Gewalt und Druck durchzusetzen. Wirklich christlich ist sehr anders! 

Die dritte Versuchung zerrt am Menschsein Jesu. Könnte er sich den menschlichen Gesetzmäßigkeiten entziehen, um zwar Mensch, aber nicht so verletzbar zu sein wie jeder andere Mensch? „Wenn du Gottes Sohn bist, so stürze dich von hier hinab. Denn es heißt in der Schrift: Seinen Engeln hat er befohlen, dich zu behüten... Sie werden dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.“ 

Gott wirkt da am meisten...

Diese Überlegung ist besonders perfide. Sie gaukelt Jesus vor, wie toll es doch sein könnte, seinerseits Gott zu versuchen. Entsprechend wehrt Jesus sie auch ab: „Die Schrift sagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht auf die Probe stellen.“ (Dtn 6,16)

Gott ist nicht der Lückenbüßer, wenn Menschen sich selbst in Gefahr bringen oder nicht mehr mit ihren eigenen Entschlüssen fertig werden. Gott springt auch nicht ein und an der irdischen Wirklichkeit vorbei, wo Menschen versagen. Wo Gott wirkt, tut er das in der Regel durch menschliche Kräfte. Die Hände in den Schoß legen und alles Gott überlassen, wäre naiv – und unverantwortlich. Gott wirkt da am meisten, wo Menschen handeln. 

Musik 4: Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847): Orgelsonate in c-Moll Op. 65 Nr. 2 - IV. Fuga. Allegro moderato (CD: Mendelssohn Orgelwerke, Peter Kranefoed, Track 10, Fadeout bei 1:30). 

Die biblische Erzählung von der Versuchung Jesu endet mit dem Satz: „Nach diesen Versuchungen ließ der Teufel für eine gewisse Zeit von Jesus ab.“ (Lk 4,13) 

Für eine gewisse Zeit, aber nicht für immer

„Für eine gewisse Zeit“ - hatte Jesus erst mal seine Entscheidungen getroffen und seinen Weg vor sich gesehen.Für eine gewisse Zeit, nicht für immer. Auch später musste er seinen Weg neu befragen und hat darum gerungen, wie er ihn weitergehen kann. Vor allem dann, als sein Engagement ihn in Lebensgefahr gebracht hatte. Auch da war er ganz Mensch, voller Angst und Panik, unterworfen allen psychologischen Gesetzmäßigkeiten und Erfahrungen.

Das aber zeigt mir die Spur auf: Ihm nachfolgen heißt auch für mich, dass ich nicht ein für  allemal alles klar habe. Sondern immer wieder mit der Versuchung nach angenehmeren oder scheinbar leichteren Abwegen ringe, mal mehr und mal weniger. Das heißt: Meine eigenen Motive hinterfragen. Mich unter den liebevollen Augen Gottes prüfen in meinem Denken und Tun. Eine christliche Daueraufgabe – die in der Fastenzeit besonders vertieft werden kann. 

Und er geht diese Wege mit

In dieser Zeit sind auch viele andere auf dem Weg, ihren Glauben und ihre Fragen anzuschauen und das eigene Leben zu hinterfragen. Und die eigenen Entscheidungen und Werte daraufhin zu prüfen, ob sie dem dreifachen Liebesgebot entsprechen – die Aufmerksamkeit für Gott, meine Nächsten und mich selbst in einer guten Balance halten. Wie gut, dass ich damit nicht alleine bin. Auch andere Menschen stellen diese Fragen. Das hilft mir sehr. Und Gott geht diese Wege mit! 

Musik 5: Johann Sebastian Bach (1685-1750): Choro con Choral: Du sollst Gott, deinen Herren, lieben aus Kantate BWV 77 (CD: Cantatas 77-79, Helmuth Rilling, Bach-Ensemble, Track 1, Fadeout bei 4:00).

(Musikauswahl: Regionalkantorin Kerstin Huwer, Alsfeld)

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