
Wildschweintage
Ich bin mit meinem Hund im Wald unterwegs. Es ist einer dieser Tage, an denen es nicht hell wird. Alles ist in ein schemenhaftes Grau getaucht. Wir haben den Wald für uns allein. Als wir gerade entspannt bergab laufen, sehe ich in der Kurve vor mir einen Schatten. Von weitem kann ich noch nicht viel erkennen. Ich laufe weiter. Bestimmt ist das nur ein Baumstumpf, denke ich. Aber ein ungutes Gefühl begleitet mich auf den nächsten Metern. Aufmerksam schaue ich nach vorne. Komme immer näher. Erkenne plötzlich, was da vor mir auf dem Weg steht: Ein Wildschwein. Ein riesengroßes Wildschwein. Ich bleibe abrupt stehen.
Was tun?!
Mein Herz pocht wie wild. Aus meinem unguten Gefühl wird Angst. Innerhalb von Millisekunden scanne ich die Umgebung und stelle fest: kein Baum eignet sich zum Hochklettern. Weglaufen schaffe ich nicht. Hinter mir führt der Weg bergauf. Was tun?
Vor Angst gelähmt
Später lese ich im Internet, dass schnelle Bewegungen in so einer Situation sowieso falsch sind. Ruhig bleiben und sich langsam zurückziehen, das wäre richtig. Und sich groß machen, wenn das Wildschwein doch auf einen zukommt. Zum Glück hat mich also meine Angst für einen Moment gelähmt.
Und tatsächlich: Das Wildschwein an diesem Tag reagiert schneller als ich: Es dreht sich um und rennt davon. Auch das Wildschwein hatte also Angst. Kein schönes Gefühl, aber dennoch manchmal hilfreich.
Die Angst ist fort, andere Gefühle breiten sich aus
Ich verharre noch ein paar Sekunden, lobe meinen Hund, der erstaunlicher Weise keinen Mucks von sich gegeben hat. Dann gehe ich weiter. Die Angst steckt mir noch immer in den Knochen. Ich rede auf diesen letzten Metern im Wald laut mit meinem Hund, um so mögliche andere Wildschweine rechtzeitig zu verscheuchen. Zurück im Ort mit Asphalt unter den Füßen, kann ich nicht anderes: Ich bleibe stehen und muss laut lachen. Alle Anspannung fällt von mir ab. Die Begegnung ist gut gegangen. Ich schicke ein Stoßgebet in den Himmel: Danke Gott. Die Angst ist fort. Dafür breiten sich andere Gefühle aus: Kraft und Freude.
Auch im Alltag: Wahrnehmen und Ruhe bewahren
Die Begegnung mit dem Wildschwein nehme ich mit in meinen Alltag. Wenn Probleme und Aufgaben zu groß erscheinen, dann denke ich an diesen Moment: ich und das Schwein. Auge in Auge. Die Furcht wahrnehmen, einen Moment innehalten, Ruhe bewahren.
Und dann den nächsten Schritt wagen.