
Mit anderen Augen sehen
Anmoderation: Diese Woche haben wir sie wieder erlebt, die verschiedenen, Sondierungsgespräche, Verhandlungen über Abstimmungen im Bundestag und jetzt Koalitionsverhandlungen. Bei all dem ist ein respektvoller Umgang miteinander wichtig. Hören Sie dazu Gedanken von Pia Arnold-Rammé von der katholischen Kirche
Das Begräbnis – diese Serie habe ich vor einiger Zeit im Fernsehen gesehen. Es wird die Geschichte von der Beerdigung eines Familienoberhauptes erzählt: Verwandte und Freunde reisen an, aus Ost und West, von nah und fern, um Abschied zu nehmen, aber auch, um übers Erbe zu reden. Soweit ganz normal also, könnte man meinen. Es gibt aber zwei Besonderheiten: Zum einen gibt es kein Drehbuch, alle Schauspielerinnen und Schauspieler improvisieren. Zum anderen gibt es sechs Folgen, die immer die gleiche Geschichte erzählen, von Tod, Beerdigung und Erbschaft, aber jeweils aus der Sicht eines anderen Beteiligten, dem ältesten Sohn z.B. oder der Ex-Ehefrau.
Jeder und jede erlebt es etwas anders
Mich hat vor allem dieser Perspektivwechsel begeistert: Es passiert eigentlich immer das Gleiche, aber jeder und jede erlebt dieselbe Geschichte ganz anders. Und ich dachte: das ist doch auch was für‘s richtige Leben: ein Familientreffen - gerne auch zu einem schöneren Anlass wie eine Beerdigung – mal aus der Perspektive verschiedener Beteiligter betrachtet. Ich frage mich, was da wohl für verschiedene Geschichten entstehen? Und alle müssten sich dann die Filme der jeweils anderen ansehen. So ein Perspektivwechsel könnte eine echte Chance sein. Wenn ich mich drauf einlasse, verstehe ich viel besser, wie der oder die andere tickt, wie sie die Welt sieht und was ihm wichtig ist. Und merke, dass meine Sicht der Dinge nicht die alleinige ist.
Mit den Augen des anderen sehen
Gerade jetzt wäre das doch auch mal was für die Politik: Ein Film mit den verschiedenen Beteiligten der Sondierungs-, Verhandlungs- und Koalitionsgespräche drehen? Vermutlich ein zu kompliziertes Vorgehen. Aber der Perspektivwechsel, der Versuch, die Dinge mit den Augen eines anderen zu sehen, auch wenn ich nicht seiner Meinung bin – das könnte in jedem Fall hilfreich sein, so meine ich. Eine Redensart der Indigenen Nordamerikas sagt es so: „Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist.“