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Das Loch der Versöhnung
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Das Loch der Versöhnung

Andrea Seeger
Ein Beitrag von Andrea Seeger, Evangelische Theologin, Oberursel
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Als unsere Kinder klein waren, zogen wir in ein altes Haus in einen Ort mit dörflichem Charakter. Unsere nächsten Nachbarn waren ein Schreinermeister und seine Ehefrau, deren Kinder schon lange erwachsen und ausgezogen waren.

Wir hörten einander, sprachen aber nicht miteinander

Unsere Gärten stießen aneinander, getrennt durch eine hohe Hecke auf unserem Grundstück. Wenn sie zu hoch gewachsen war, landete ein Zettel in unserem Briefkasten: Bitte umgehend die Hecke schneiden. Der Ton war eher rau und nicht sehr herzlich. Begegneten wir uns auf der Straße, fiel die Begrüßung knapp aus. Waren wir im Garten, hörten wir einander, sprachen aber nicht miteinander.

Eine Begegnung, die alles verändert

Eines Tages flog ein Ball von uns über die Hecke. Unser Vierjähriger machte sich auf den Weg, um bei den Nachbarn zu klingeln und um den Ball zu bitten. Er blieb länger weg, ich wurde unruhig. Dann kam er, hatte den Ball in der einen, einen Apfel in der anderen Hand und sagte: „Schau mal, hat mir die Nachbarin geschenkt.“ Ein paar Tage später klemmte unser großer Esstisch. Ich fasste mir ein Herz, klingelte bei den Nachbarn und fragte den Schreinermeister, ob er mal nach unserem Tisch schauen könnte.

Ein Missverständnis wird aufgeklärt

Er konnte. Flugs hatte er das gute Stück repariert. Als Dankeschön luden wir ihn und seine Frau zum Grillen ein. Sie waren hocherfreut, kamen mit Blumen und Wein. Ich fragte, warum sie immer so reserviert waren. Die Antwort: Wir dachten, ihr seid mit den Vorbesitzern befreundet und mit denen hatten wir immer nur Streit.

Besser spät als nie: Nachbarn, die Freunde wurden

Nein, wir waren nicht mit ihnen befreundet, hatten sie nur zwei Mal gesehen: das erste Mal bei der Besichtigung, das zweite Mal beim Notar. Wir lachten erleichtert – alle vier. Als nächstes schnitten wir ein großes Loch in die Hecke – damit wir uns sehen konnten, wenn wir miteinander sprachen. Und das taten wir von da an oft. Im Sommer nahezu täglich. Unser „Loch der Versöhnung“ schnitten wir immer wieder nach - solange wir dort wohnten. Wir wurden richtig gute Nachbarn. Das hätten wir eher haben können, dachte ich oft. Es muss ja nicht unbedingt erst ein Ball über den Zaun fliegen, um bei den Nachbarn zu klingeln.

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