
Echter als echt
Letztens habe ich eine historische Fernsehserie gesehen. Sie spielt in der Barockzeit an einem Königshof. König, Königin, die Adligen und wer noch so alles zum Hofstaat gehört, tragen prächtige Kleidung. Und dazu eine voluminöse, meist weißgelockte Perücke. Typisch Barock eben.
Diese Perücken galten als schön, als modisch. Die eigenen Haare konnten mit dem Schönheitsideal der Zeit nicht mithalten: zu wenig, zu dünn, zu kurz, zu wenig gelockt. Also musste der Natur nachgeholfen werden und da war es auch egal, dass das Ergebnis kein bisschen natürlich aussah. Den Perücken war anzusehen, dass sie genau das waren: Perücken und nicht das, was Menschen von Natur aus auf dem Kopf haben.
Trends entscheiden, was schön ist und was in ist
Das war damals kein Problem, denn ums „echt“ aussehen ging es nicht. Es war also wie so oft mit Modetrends. Das haben die Schönheitsideale der Barockzeit und der Gegenwart gemeinsam: Es geht drum, sich so zu zeigen, wie es als schön empfunden wird. Und nicht so, wie Menschen nun mal aussehen.
Und doch ist gerade bei den Perücken der Unterschied so stark: Früher war allen klar, dass die weiße Lockenpracht nicht echt ist. Jeder wusste: Da tut jemand nur so, weil er gut aussehen will. Heute dagegen darf eine Perücke nicht als solche erkannt werden. Perücken sollen echt aussehen, wie echte Haare, und sich perfekt an den Kopf und in das ganze Erscheinungsbild der Person einfügen. Sie soll ganz normal aussehen – ganz natürlich, echt eben.
Mehr Mut zur Unvollkommenheit
Heutzutage ist das kein Problem. Hochwertige Perücken sehen manchmal sogar zu gut aus, zu echt. Die Haare: gesund, glänzend, füllig und sie liegen perfekt. Schöner könnte sie keine Shampoo-Werbung präsentieren. Wie paradox!
Vollkommenheit ist aber nichtnatürlich. Die Natur ist unvollkommen, sie macht vermeintliche Fehler und ist unperfekt. Wir Menschen sind genauso unvollkommen. Das darf so sein. Wir müssen nicht perfekt sein, wir müssen nicht echter als echt sein.
Wir sind gut so, wie wir sind. Und wie schön kann unperfekt sein.