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Ist der Pazifismus tot?
Bild: Sarah Richter Pixabay

Ist der Pazifismus tot?

Lukas Walther
Ein Beitrag von Lukas Walther, Pastoralassistent in der katholischen Pfarrei St. Elisabeth Mainz und Budenheim, Mitarbeiter Kirche im HR
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Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Mich treffen sie immer wieder ins Herz: neue Bilder von Zerstörung, von Tod, von Leid. Der Krieg in der Ukraine tobt nun schon im vierten Jahr, ohne dass ein Ende absehbar ist. Israel und Palästina – auch dort flammt der Hass immer wieder auf, eskaliert in Gewalt, in Bombenangriffen, in Massakern. Und an vielen weiteren Orten dieser Welt wird gekämpft und müssen Menschen fliehen: im Sudan, im Jemen. 

Und durch die Medien mittendrin: wir. Zuschauer, Zuhörende, manchmal auch Kommentierende. Übers Handy oder den Fernseher bin ich ganz schnell mittendrin, in dieser Welt voller Kriege. Ich frage mich: Was bedeutet das für mich, für uns? Welche Haltung habe ich zu Krieg? Um welchen Preis wünsche ich mir Frieden? Wie stehe ich zu Waffenlieferungen? Ändert das etwas an meinem Glauben an das Gute?

Ein naiver Glaube?

Und vor allem: Bin ich naiv, zu glauben, dass alles gut wird und Menschen sich vertragen können? Und dass Gewaltfreiheit die beste Lösung ist?

Das frage ich mich immer häufiger. Besonders in dieser Woche, in der sich zum 80. Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs gejährt hat. 80 Jahre Frieden – zumindest in Deutschland. Ich bin dankbar für 80 Jahre Frieden in Deutschland, aber so richtig zum Feiern ist mir – und ist vermutlich vielen – auch nicht zumute. Ich mache mir Sorgen, dass Kriege näher rücken könnten. Und auch die Experten sagen, dass wir uns besser verteidigen müssen.

Und nun rüsten wir hier in Deutschland auf. Milliarden fließen in die Bundeswehr. Neue Waffen, neue Technologien, mehr Verteidigung. „Sicherheit stärken“, heißt es. „Abschreckung gegen Russland“. Und vielleicht ist das aus politischer Sicht auch notwendig. Aber als Christ, als Mensch, der an das Gute glaubt, der von Gewaltfreiheit überzeugt ist – was macht das mit mir?

Ist es naiv, in dieser Zeit noch an den Pazifismus zu glauben?

Musik

Bei Pazifismus denke ich an Worte, die der verstorbene Papst Franziskus einmal gesagt hat. 2017 hat er damit zum Weltfriedenstag aufgerufen: „Machen wir die aktive Gewaltfreiheit zu unserem Lebensstil.“ Ein starker Satz, finde ich. Nicht einfach nur: Seid nett zueinander. Sondern ein Aufruf zur aktiven Gewaltfreiheit. Also nicht passiv aushalten, sondern sich einmischen, aufstehen – aber ohne Waffen, ohne Gewalt.

Aber was bedeutet das konkret?

Papst Franziskus hat damals von einem neuen politischen Stil gesprochen, von einem Friedensprozess, der mit Dialog beginnt und mit Gerechtigkeit endet. Er betonte auch immer wieder: „Frieden kann nicht wiederhergestellt werden, wenn man auf eine Ohrfeige mit der nächsten antwortet.“ Und er erinnerte daran: Echter Friede kann niemals durch Waffen entstehen.

Heute sieht die Welt anders aus

Diese Worte klingen heute fast wie aus einer anderen Welt – realitätsfern. Und Papst Franziskus ist für diese Friedenshaltung, vor allem in Bezug auf den Krieg in der Ukraine, aber auch immer wieder als zu naiv kritisiert worden.

Vielleicht ist es ja auch bequem, wenn ich dem klassischen Pazifismus folge und mich moralisch gut fühle – und dabei eben nicht betroffen bin von Angriffen und Bomben.  Wenn andere für mich die dreckige Arbeit erledigen. Es ist einfach, „Nein zu Waffen“ zu sagen, wenn ich selbst in Sicherheit lebe. Aber was heißt das für die Menschen, die keine Wahl haben, weil sie angegriffen werden?

Jetzt werden also in Deutschland wieder Panzer produziert. Die Wehrpflicht wird diskutiert, junge Menschen sollen „wieder lernen, ihr Land zu verteidigen“. In der Ukraine kämpfen Männer und Frauen ums Überleben, mit Waffen in der Hand. In Gaza und in Israel sterben Menschen durch Bomben und Terror. Alles scheint sich in der Spirale der Gewalt zu drehen. Und die Hoffnung? Die stirbt zuletzt, sagt man. Aber sie stirbt, Stück für Stück, mit jedem Einschlag, mit jeder zerbombten Schule, mit jedem Kind, das weint, weil seine Eltern nicht mehr da sind.

Wofür das alles? Frage ich mich.

Weil einige wenige Menschen, oft Männer mit viel Macht, nicht bereit sind, Kompromisse zu schließen? Weil Macht, Stolz, Rache oder Ideologie stärker sind als die Vernunft?

Nicht einfach nur hinnehmen

Mir erscheint diese Gewalt, das Leid so sinnlos. Und ich merke: Ich will das nicht einfach so hinnehmen. Aber die Pazifismusforderung kommt mir nicht mehr ganz passend vor: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“ An sich eine tolle Idee, solange sich alle daran halten und man nicht über den Tisch gezogen wird. Solange  alle sagen: Ich trage diese Logik der Gewalt nicht mehr mit. Ich glaube an die Kraft des Friedens, an die Macht der Worte, an das Wunder der Versöhnung.

Und trotzdem muss ich schonungslos realistisch bleiben: Menschen sterben, da kann ich doch nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: Frieden, egal wie! Wehrt euch nicht! Sagt zu allem Ja und Amen, dann wird alles gut. Das ist in meinen Augen naiv!

Musik

Ich finde, Bischof Peter Kohlgraf hat zu Ostern in Mainz sehr treffende Worte gefunden. Er ist Präsident der katholischen Friedensbewegung pax christi und hat gesagt: „Besonders in diesem Jahr will ich die Hoffnung auf einen gerechten Frieden nicht aufgeben. Diesen Frieden wird es nicht durch ‘Deals’ geben, sondern nur, wenn gerechte Lösungen gesucht werden.“ Ich glaube auch: Frieden ist nur in Kombination mit Gerechtigkeit möglich. Und es braucht dafür gute Argumente und die Bereitschaft für Kompromisse. 

Eine Frage der Stärke

Hier muss ich nüchtern draufschauen und bemerke: Bei Konfliktparteien zählen oft nur noch Argumente der Stärke. Nicht nur die Willensstärke, die eigene Agenda durchzusetzen. Es zählt gerade auch die militärische Stärke. Aufrüstung zur Abschreckung kann hier auch ihre Berechtigung haben. Auch wenn ich hoffe, dass wir diese Waffen niemals einsetzen müssen. Aber auch in der Diplomatie braucht es diese Argumente der militärischen Stärke. Denn um sich diplomatisch zu verständigen und an einen Tisch zu setzen, braucht es eine gemeinsame Basis. Eine Sprache, die auch die andere Seite versteht. Das kann diese militärische Stärke sein.

Ich denke an die Ukraine und wünsche mir, dass dort Friedensgespräche beginnen, die nicht nur einseitig dem Machthunger Putins dienen. Ich denke an Palästina und wünsche mir, dass dort nicht nur Mauern gebaut, sondern Brücken geschlagen werden zwischen den Menschen. Frieden ist für mich nicht nur die Abwesenheit von Krieg. Im Frieden geht es um gegenseitige Verständigung.

Besonders dieses Jahr

Bischof Kohlgraf hat sich mit seiner Hoffnung auf Frieden besonders auf dieses Jahr bezogen – ein Jahr, das von der katholischen Kirche als Jahr der Hoffnung begangen wird. „Pilger der Hoffnung“ lautet das Motto. Ich mag dieses Bild. Weil es deutlich macht: Hoffnung ist kein Zustand. Hoffnung ist ein Weg. Man muss sich aufmachen. Muss dranbleiben. Auch, wenn der Weg steinig ist. Und ich glaube: Diese Hoffnung auf Frieden brauchen wir alle, irgendwo. Frieden beginnt im Kleinen, zwischen uns, in unseren Worten und Taten. Und er kann, Schritt für Schritt, auch im Großen wachsen.

Bischof Kohlgraf sagt: „Pazifismus bedeutet nicht, die Augen zu verschließen oder Konflikte zu ignorieren. Es bedeutet, Alternativen zu Waffen ernsthaft zu suchen.“ Genau das will ich tun. Nicht die Augen verschließen – aber auch nicht abstumpfen. Ich will die Hoffnung bewahren. Und gleichzeitig will ich realistisch bleiben, weil es – zumindest aktuell – nicht ohne Waffen geht.

Es ist wichtig, an den Frieden zu glauben. Zu hoffen, dass es in Zukunft ohne Gewalt gehen kann. Vielleicht ist es naiv, an den Frieden zu glauben. Aber ist es nicht noch naiver, zu glauben, dass Gewalt jemals eine Lösung war? Ich trage diese Hoffnung auf einen gerechten Frieden trotz allem weiter in mir.

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