
Frieden in bedrohten Zeiten
Heute, am 6. April, ist der „Internationale Tag des Sports für Entwicklung und Frieden“. Ein Tag, der gut in diese aufgewühlten Zeiten passt. Menschen haben Angst, erleben, dass der Frieden in der Welt in einem Maß bedroht ist, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Das erfahre ich in vielen Gesprächen - mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, mit Freundinnen und Freunden, mit meinen Kindern.
Sport verbindet Menschen über Grenzen hinweg
Es gibt also Gründe genug, mit einem Gedenktag Aufmerksamkeit zu schaffen für Entwicklung und Frieden, denn Frieden stellt sich nicht von selbst ein, er braucht unsere Aufmerksamkeit, unseren Einsatz. Die Vereinten Nationen haben diesen „Internationalen Tag des Sports für Entwicklung und Frieden“ 2013 ins Leben gerufen, um die Kraft des Sports als Instrument für gesellschaftlichen Wandel hervorzuheben. Ich bin selbst zwar eher unsportlich, aber ich hab durch meine Töchter die Stadionbesuche bei Mainz 05 für mich entdeckt. Mittendrin im Stehblock, in den Gesängen, im Mitfiebern erlebe ich: Sport verbindet Menschen über Grenzen hinweg, unabhängig von Herkunft, Religion oder sozialem Status. Er steht für Fairness, Respekt und Zusammenarbeit – Werte, die auch für eine friedliche Welt entscheidend sind.
Er kann ihnen eine Perspektive geben
Sport hat in Krisengebieten und für diese oft eine besondere Rolle: Er kann Brücken bauen, Traumata heilen und jungen Menschen eine Perspektive geben. Das kann ein Fußballspiel in einem Flüchtlingslager sein oder auch das tolle Engagement von Ehrenamtlichen in den Sportverbänden, die Geflüchteten in den Vereinen Integration ermöglichen. Das ist so auch hier bei uns in Hessen spürbar.
Es geht hier um gemeinsame Werte
Im Februar habe ich an einem Spitzengespräch von Kirche und Sport teilgenommen - es war nach der Coronapause das erste Mal, dass sich die Kirchenleitungen der Evangelischen Landeskirchen und der katholischen Bistümer wieder mit dem Landessportbund Hessen getroffen haben, und in diesem Jahr zum ersten Mal auch mit zwei Vertretern der jüdischen Gemeinden. Sport und Kirche – auf den ersten Blick zwei ganz unterschiedliche Welten. Und doch zeigen die vielen Kontakte auf der Arbeitsebene neben diesen Spitzengesprächen, dass es viel mehr Verbindendes gibt, als man denkt. Es geht um gemeinsame Werte: Fairness, Respekt, die Prävention von Missbrauch und besonders auch um die Stärkung der Demokratie. In einem Statement, das im Rahmen des Spitzengesprächs verabschiedet wurde, haben sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu bekannt, „gemeinsam Verantwortung für den Schutz demokratischer Werte zu übernehmen und entschlossen gegen jede Form von Extremismus und Antisemitismus einzutreten“, wie es in der Pressemeldung heißt. Ich finde: Ein starkes Zeichen für den gesellschaftlichen Frieden.
Eine schöne Idee, die sich nie verwirklichen lässt
Das Statement aus dem Spitzengespräch von Kirche und Sport im Februar bekennt sich zur gemeinsamen Verantwortung für den Schutz demokratischer Werte. Das passt auch zu dem heutigen Gedenktag, dem „Internationalen Tag des Sports für Entwicklung und Frieden“.
Aber ist das genug, solche Spitzengespräche zu führen, wenn der Weltfriede momentan in den Händen einiger weniger Mächtiger liegt? Während wir heute diesen Gedenktag begehen, leiden in vielen Teilen der Welt Menschen unter Krieg und Bürgerkrieg. Im Südsudan und im Kongo sind zigtausende Menschen auf der Flucht vor Kämpfen, in der Ukraine tobt nach wie vor ein unerbittlicher Krieg, im Heiligen Land, in Afghanistan und in Syrien – überall ist der Friede bedroht. Manchmal fühlt es sich an, als wäre Frieden eine Utopie – eine schöne Idee, die sich nie verwirklichen lässt.
"Einer von ihnen ist Jacques Mourad"
Und doch gibt es Menschen, die trotz allem unerschütterlich an den Frieden glauben. Einer von ihnen ist Jacques Mourad, der syrisch-katholische Erzbischof von Homs. Seine Geschichte ist eine Geschichte von Terror und Leid – und doch auch von einer unerschütterlichen Hoffnung. Der Mainzer Bischof Kohlgraf hat ihn im Rahmen der letzten Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz kennenlernen dürfen. Er war tief beeindruckt von dessen Lebenszeugnis und hat davon berichtet.
Jacques Mourad wurde 2015 von Dschihadisten entführt und monatelang gefoltert. Er hat etwas erlebt, das wir uns kaum vorstellen können: völlige Ohnmacht. Gefesselt, gequält, gedemütigt, immer wieder mit dem Tod bedroht – in der Gewalt von Menschen, die ihn als Feind betrachteten. Und doch sagt er heute: „Ich habe gelernt, dass der wahre Friede nicht in der Abwesenheit von Krieg liegt, sondern in der Fähigkeit zu vergeben.“
Ich finde das unglaublich beeindruckend
Erzbischof Mourad hätte allen Grund gehabt, den Glauben an das Gute zu verlieren. Aber er wählt gerade aus dieser Erfahrung von völligem Ausgeliefertsein den Weg des Friedens. Ich finde das unglaublich beeindruckend: dass jemand, der so etwas erlebt hat, trotzdem an die Kraft der Versöhnung glaubt! Aus einer tieferen inneren Haltung heraus, aus seinem christlichen Glauben heraus.
Aber was bedeutet das? In Deutschland leben wir noch sicher. Unsere Konflikte sind meist politischer Natur, manchmal emotional, aber selten lebensbedrohlich. Und doch spüren wir: Demokratie und Frieden sind keine Selbstverständlichkeiten mehr.
Immer wieder die Hand zur Versöhnung ausstrecken
Die Migrationsdebatte zeigt, wie tief die Gräben in unserer Gesellschaft geworden sind. Menschen sind zutiefst verunsichert, Angst wird politisch instrumentalisiert. Immer mehr Stimmen fordern Abschottung, anstatt sich der Herausforderung zu stellen, wie ein friedliches Zusammenleben gelingen kann. Demokratie lebt vom Dialog, von Respekt, von der Bereitschaft, andere als gleichwertig anzusehen.
Der syrisch-katholische Erzbischof Mourad wurde gefragt, was er der Kirche in Deutschland rate, wie sie sich in der Migrationsdebatte verhalten und einbringen sollte. Seine Antwort war: Die Aufgabe der Christinnen und Christen muss es sein, immer wieder die Hand zur Versöhnung auszustrecken.
Will mich bewusst davon abwenden
Das klingt vielleicht befremdlich, naiv, angesichts einer Welt, die so sehr von Gewalt erschüttert wird, wie unsere Welt heute. Und doch: Für mich fordert gerade die christliche Botschaft dazu heraus: Ich will mich nicht vom Hass und von der Hetze gegen ganze Menschengruppen anstecken lassen, ich will mich bewusst davon abwenden – und mich bewusst dem Frieden zuwenden.
Frieden beginnt dort, wo wir uns entscheiden, nicht mit Hass zu reagieren. Das klingt einfacher, als es ist. Aber mir hilft da ein Lebenszeugnis, wie das von Jacques Mourad, dem Erzbischof von Homs in Syrien: Er wurde entführt und gefoltert und hat seinen Peinigern vergeben. Nicht, weil er vergessen hat, was sie ihm angetan haben, sondern weil er wusste, der Hass würde ihn selbst innerlich zerstören.
Aber es braucht auch den Menschen
Diese Art von Frieden ist kein oberflächlicher Frieden, kein „alles wird gut“-Pflaster. Es ist ein Frieden, der aus der Tiefe kommt, der sogar inmitten von Gewalt bestehen kann. Mourad sagt, dass er diesen Frieden auch in seiner Gefangenschaft gespürt hat – einen Frieden, den er nicht erklären kann, aber der ihn getragen hat.
Wenn ich das so höre, muss ich an einen Ausspruch Jesu im Johannesevangelium denken. Jesus sagt dort: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch.“ (Joh 14,27)
Dieser Friede bedeutet nicht einfach nur Ruhe oder Abwesenheit von Krieg. Dieser Friede reicht tiefer als äußere Umstände, er bleibt bestehen, auch wenn alles um mich herum wankt. Für mich ist es Gott, der diesen Frieden schenkt. Aber es braucht auch den Menschen. Es braucht die Entscheidung eines jeden, einer jeden Einzelnen, nicht der Stimme des Hasses in mir zu folgen, sondern der Stimme, die zum Frieden ruft.
In der Bereitschaft Zwischentöne zuzulassen
Das ist eine Haltung, die auch unsere Demokratie dringend braucht. Denn Frieden beginnt nicht erst bei internationalen Verhandlungen – er beginnt hier, bei uns. In der Art, wie wir mit Andersdenkenden und auch mit Andersgläubigen umgehen. In der Bereitschaft, nicht in Schwarz-Weiß zu denken, sondern Zwischentöne zuzulassen.
Die Kriege in unserer Welt – wir können sie nicht allein beenden. Aber wir können unsere Stimme für den Frieden erheben. Wir können Solidarität zeigen, für Opfer beten, Hilfsprojekte unterstützen, aber vor allem: in unserem eigenen Umfeld Frieden leben.
Ich will das versuchen: am Arbeitsplatz, in meiner Familie, im Fußballstadion - überall da, wo ich Menschen begegne und die Möglichkeit habe, ein Klima des Friedens mitzugestalten.