
Was uns zusammenhält
Fünf Jahre ist es jetzt her. Diesen Nachmittag werde ich nicht vergessen:
Ich hole meine Kinder vom Kindergarten ab. Vor der KiTa stehen mehrere Eltern, sie sehen besorgt aus. Keiner redet. Eine Mutter bricht das Schweigen. „Tja“, sagt sie. „Das war’s dann wohl für eine Zeit. Die werden jetzt bestimmt auch die KiTas dicht machen.“ Ich stehe ungläubig daneben. Meint sie das wirklich ernst? Wegen eines Virus sollen die Kinder gar nicht mehr in die KiTa?
Der erste Corona-Lockdown
Die Mutter behielt recht. Heute vor fünf Jahren wurde der erste Corona-Lockdown beschlossen. Dann folgten immer mehr Regeln: Menschen müssen Abstand halten: 1,5m. Damit wir uns nicht anstecken. Masken werden ausgeteilt. Wer kann, arbeitet ab jetzt im Homeoffice. Bis auf Weiteres. Eine Ausnahmesituation, wie ich sie bis dahin nicht kannte.
Keine Pause und keine Kontakte
Die Pandemie hat im Frühjahr 2020 das Leben auf den Kopf gestellt. Bei mir war es so: Plötzlich war ich nur noch zu Hause und musste alles gleichzeitig tun: den Alltag organisieren, arbeiten, mich um die Kinder kümmern. Ich hatte keine Pause. Oft hat mich das an meine Grenzen gebracht.
Anders hat das ein guter Freund erlebt. Er lebt allein in seiner Wohnung in Frankfurt. Mit einem Mal waren fast alle sozialen Kontakte weg. Es gab keine Einladungen zum Abendessen mehr, seine Kollegen hat er nur noch auf einer Kachel auf dem Bildschirm gesehen. Alle Bars und Clubs hatten geschlossen. Für ihn stand die Zeit einfach still. Draußen schien die schönste Frühlingssonne und die Straßen waren leergefegt, fast gespenstisch.
Fünf Jahre nach dem ersten Lockdown frage ich mich: Wie konnten wir diese Zeit überstehen? Was hat uns Kraft gegeben?
In der Krise: Den Zusammenhalt stärken
Es ist März. Endlich scheint die Sonne wieder stärker. Zeit, um den Winter abzuschütteln. Ich will rausgehen, Freunde treffen und das Leben genießen.
Vor fünf Jahren hatte ich ähnliche Frühlingsgefühle. Doch dann kam der erste Lockdown.
Meine Freundin wollte damals etwas tun, das den Zusammenhalt stärkt – trotz Abstandsregeln. Deshalb hat sie Einkaufsdienste für ältere Menschen angeboten. Eine Nachbarin war dankbar, dass meine Freundin ihr regelmäßig die Einkäufe vor die Tür gestellt hat. Andere ältere Nachbarn fanden das bevormundend. Sie sind lieber selbst zum Supermarkt gegangen und haben das Risiko sich anzustecken in Kauf genommen.
Mit Solidarität ein Zeichen setzen
Was ich an der Idee mit dem Einkaufsdienst in der ersten Zeit von Corona toll fand: Das war die gegenseitige Solidarität! Da ist jemand, die sich Sorgen macht, ob es der Nachbarin gut geht. Das war ein deutliches Zeichen: Wir gehen gemeinsam durch diese schwierige Zeit. Viele Menschen wurden plötzlich ganz kreativ: Ein Mann im Ruhestand erzählt, dass er während des ersten Lockdowns angefangen hat über den Bildschirm Hausaufgaben mit seinen Enkeln zu machen. Er konnte sich einbringen und unterstützen, das hat die Familie trotz der Entfernung verbunden. Und ihm hat es geholfen seinen Tag zu strukturieren. Gerade die Zeit im ersten Lockdown hat uns gezeigt: Für ein gutes Miteinander ist es wichtig, nicht nur auf sich selbst zu achten, sondern das Wohl anderer im Blick zu halten. Das schweißt zusammen.
Rücksicht nehmen ist zu allen Zeiten wichtig
Doch nicht nur bei Corona: Zu allen Zeiten haben Menschen erlebt, wie wichtig es ist, füreinander zu sorgen und aufeinander Rücksicht zu nehmen – gerade in Ausnahmesituationen. Die Bibel erzählt von den Israeliten, die in der Wüste zusammenhalten müssen. Sie sind auf der Flucht aus der Sklaverei in Ägypten. Die Sonne sticht, der Boden ist steinig und uneben. Es ist mühsam durch die Wüste zu laufen und die Menschen fangen an zu meckern und zu murren. Sie beklagen sich bei ihrem Anführer Mose: Es gibt kein Wasser und kein Brot; eine Oase zum Auftanken ist nicht in Sicht. Mose bittet deshalb Gott um Hilfe: Gott soll ein Zeichen senden. Etwas, das Kraft gibt und neuen Mut zum Durchhalten. Da lässt Gott Brot vom Himmel regnen. Manna! So nennen die Israeliten dieses wundersame Brot. Süßlich schmeckt es, wie ein Kuchen. Es macht die Menschen satt. Jeder sammelt davon so viel er oder sie gerade braucht.
Die Israeliten wissen: Wir sind nicht allein unterwegs
Die Geschichte aus der Bibel erzählt davon, wie wichtig es ist in einer schwierigen Situation zusammen zu halten und aufeinander zu achten. Das Murren und Meckern verändert nichts. Stattdessen merken die Israeliten: Wir sind ja nicht allein unterwegs. Da sind andere, die in der gleichen Situation stecken. Und wir vertrauen Gott, dass er uns nicht im Stich lässt. Gott geht mit durch die Wüste.
Die Zeit der Pandemie war für mich auch eine Art Wüstenzeit. Und ich habe überlegt: Was könnte mir oder anderen denn Kraft geben? Was kann wie ein Funke auf andere überspringen und das Zusammensein stärken?
Ein Moment wie Manna
Rückblickend war die Corona-Pandemie für viele eine schwere Zeit. Im biblischen Sinn eine Wüstenzeit. Ein Moment aus den ersten Wochen der Pandemie ist mir tief in Erinnerung: Ich habe damals einen Bekannten gefragt, ob er nicht Lust hätte bei uns im Treppenhaus Musik zu machen. Er sagte sofort zu, ein älterer Herr, der Musik über alles liebt. Mit Hemd und Krawatte kam er wenige Tage später in unser Haus, packte im Treppenhaus sein Cello aus, stimmte die Saiten und begann zu spielen. Vom Keller bis in den 5. Stock hörten wir die Musik, das Haus war voll mit Tönen. Musik fiel wie Manna vom Himmel.
Trotz Abstand verbunden
Neugierig steckten meine Nachbarn ihre Köpfe aus den Wohnungen und lächelten. Wir hielten Abstand, aber unsere Herzen waren durch die Musik verbunden.
Die Töne im Treppenhaus haben das Murren übertönt. Für einen Moment stand die Zeit still: Wir spürten die positive Energie und den Zusammenhalt, die von der Musik ausgingen. Die Töne im Treppenhaus haben uns verbunden zu einer Gemeinschaft. Für einen Moment haben wir gemeinsam innegehalten, das gleiche gehört und uns miteinander gefreut. Da habe ich Gott mitten unter uns gespürt.
Wie können wir heute zusammenhalten?
Das ist fünf Jahre her. Das Gefühl „Wir halten zusammen“, die Zeichen von Solidarität und Gemeinschaft des ersten Lockdowns sind für mich an manchen Tagen nur noch eine blasse Erinnerung.
Den Israeliten in der Bibel ging es wohl nicht anders. Deswegen wird bis heute die Geschichte vom Auszug aus Ägypten immer und immer wieder erzählt. Alle sollen sich dran erinnern: In schweren Zeiten halten wir zusammen und Gott hilft uns dabei.
Ich merke: Ich will nicht erst wieder auf eine Wüstenzeit warten, um mich daran zu erinnern. Ich überlege, was mir heute Kraft schenkt und den Zusammenhalt stärkt.
Zusammensein im Alltag stärken
Ein Ausflug in die Natur mit anderen oder ein gemeinsames Essen ist für mich eine gute Gelegenheit, das Zusammensein mit anderen zu stärken. Gerne auch mal ganz spontan: Vor zwei Wochen traf ich beim Samstageinkauf einen Freund. Ich legte gerade Gemüse für unser Abendessen in den Einkaufswagen und auch er hatte schon einen Salat und Tomaten im Korb. Da kam mir der Gedanke: „Wollen wir heute Abend nicht alle zusammen essen? Wir haben uns lange nicht gesehen.“ Er sagt: „Klar! Warum nicht?“ Er brachte seine Familie mit. Am Ende saßen wir mit 9 Leuten um unseren Tisch im Wohnzimmer. Es war ein wunderbarer Abend und ich zehre noch jetzt davon.
Ein Wink vom Himmel
Der Geistesblitz im Supermarkt, das war für mich wie ein Wink vom Himmel: Es tut gut, etwas gemeinsam zu tun. Warte nicht lang und nutz den Moment. Die Pandemie hat uns gezeigt, wie sehr uns gerade diese Freundschaften auch in schweren Zeiten tragen können.