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Bei den Fakten bleiben!
Bild: Succo Pixabay

Bei den Fakten bleiben!

Lukas Walther
Ein Beitrag von Lukas Walther, Pastoralassistent in der katholischen Pfarrei St. Elisabeth Mainz und Budenheim, Mitarbeiter Kirche im HR
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Noch knapp einen Monat, dann ist es soweit: Bundestagswahl. Ein Ereignis, das normalerweise alle vier Jahre die politische Landschaft aufwirbelt. Aber dieses Jahr ist es anders. Vor einem Monat hat Olaf Scholz die Vertrauensfrage verloren und ich war schon über die Wahlkampfwerbung in den Weihnachtsferien genervt. Überall Plakate, Interviews, Talkshows, Wahlprogramme, die Sonntagsfrage und demnächst sind die großen TV-Duelle von Scholz und Merz.

Zwischen Interesse und Ablehnung

Ich gebe zu, ich schaue auf all diese Wahlkampfveranstaltungen mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite interessiert es mich, wofür die Parteien, beziehungsweise die Kandidatinnen und Kandidaten stehen, welche Konzepte sie haben und wie sie die drängenden Probleme unseres Landes und unserer Zeit lösen wollen. Auf der anderen Seite aber – und das muss ich ehrlich sagen – graut es mir manchmal auch davor.

Warum? Weil solche Wahlkampfveranstaltungen oft weniger wie sachliche Debatten wirken, sondern eher wie eine Art Reality-Show. Laut, emotional, leider nicht immer ganz ehrlich und mit großer Selbstdarstellung. Manchmal habe ich das Gefühl, es geht mehr darum, wer den cleversten Schlagabtausch liefert, als darum, wer die fundiertesten Argumente hat. Und noch schlimmer: Manchmal wird die Wahrheit dabei ziemlich stark gedehnt.

Eine zentrale Frage unserer Zeit

Wahrheit – was für ein großes Wort. Was bedeutet Wahrheit eigentlich? Ich denke, das ist eine der zentralen Fragen unserer Zeit. Denn wir leben in einer Ära, in der „alternative Fakten“ oder „Fake News“ in der öffentlichen Debatte einen immer größeren Einfluss haben. Und das macht mir Sorgen…

Ich möchte hier ganz klar Stellung beziehen: Es mag viele Meinungen geben, aber es gibt keine „alternativen Wahrheiten“ oder „Fakten“. Die Wahrheit ist nicht relativ, sie ist eben nicht verhandelbar. Sie ist eine Konstante. Das, worauf sich alles beziehen muss. Natürlich können wir Menschen die Welt unterschiedlich wahrnehmen und auch unterschiedliche Meinungen sind wichtig, sie sind sogar essenziell für eine lebendige Demokratie. Für eine Kultur des Austauschs und der Debatte. Aber Meinungen sind keine Fakten.

Musik

Meinungen sind keine Fakten: das wird besonders deutlich, wenn es um heikle Themen geht – Themen, die in der öffentlichen Debatte oft emotional aufgeladen sind. Zum Beispiel das Bürgergeld.

Das Bürgergeld wurde eingeführt, um Menschen in schwierigen Lebenssituationen eine Basis zu bieten. Es ist keine Luxusleistung, sondern eine Sicherung des Existenzminimums. Und trotzdem erlebe ich immer wieder, wie über Menschen hergezogen wird, die diese Unterstützung in Anspruch nehmen. Da ist die Rede von „Faulenzern“ oder „Sozialschmarotzern“ und es wird überlegt, diese Unterstützung zu entziehen.

Nicht nur nach unten treten

Aber was sagen die Fakten? Die meisten Menschen, die Bürgergeld beziehen, sind entweder nicht in der Lage zu arbeiten, weil sie gesundheitlich eingeschränkt sind, oder sie befinden sich in einer schwierigen Lebensphase, in der sie Unterstützung brauchen. Beispielsweise, wenn das Einkommen so gering ist, dass mit Bürgergeld aufgestockt werden muss. Viele von ihnen bemühen sich, wieder auf die Beine zu kommen.[1] Das sind die Fakten. Und trotzdem wird oft ein ganz anderes Bild gezeichnet.

Das Problem ist meiner Ansicht nach: Bei dieser Debatte wird oft in den Argumentationen nach unten getreten. Es geht gegen die Schwächsten unserer Gesellschaft. Ich finde: Das ist nicht der Weg, den unsere Gesellschaft gehen sollte.

Weniger Alleingang, mehr Gemeinschaft

Die Wahrheit ist doch: Unser gesellschaftliches Fundament ist Solidarität. Nicht zuletzt heißt unser Wirtschaftsmodell „soziale Marktwirtschaft“ – und nicht „asoziale Marktwirtschaft“. Man kann auch sagen: Das Axiom, also der Grundsatz unserer Demokratie ist die Gemeinschaft. Wir sind kein Verbund von Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfern, sondern eine Gesellschaft, die auf gegenseitiger Unterstützung beruht.

Wenn wir uns also über Themen wie Bürgergeld oder soziale Sicherungssysteme unterhalten, dann wünschte ich mir, weniger Vorurteile und mehr Fakten. Denn die Fakten zeigen: Die Mehrheit der Bürgergeld-Empfänger möchte wieder arbeiten. Sie sind nicht freiwillig in dieser Situation und versuchen weiterzumachen. Sie kämpfen mit den Herausforderungen ihres Lebens, während sie gleichzeitig oft stigmatisiert werden. Die Zahl der sogenannten „Totalverweigerer“ ist verschwindend gering (15.000).[2] Und letztlich, wenn ich selbst in solch eine Situation kommen sollte, bin ich froh, wenn ich mich auf diese Unterstützung verlassen kann.

Musik

Mehr Fakten, weniger Fake News. Das bedeutet für mich für unsere Demokratie: Dass in Fernsehduellen und in Diskussionen am Küchentisch weniger nach unten getreten wird. Dass wir die Schwächsten nicht zu Sündenböcken machen. Eine Gesellschaft wird nicht stärker, indem sie ihre schwächsten Glieder demontiert. Sie wird stärker, indem sie diese Glieder stützt, bis sie wieder festen Boden unter den Füßen haben. Denn ein Team ist nur so stark wie sein schwächster Spieler.

Und das gilt nicht nur für die Debatte um Kürzungen beim Bürgergeld, um vergleichsweise geringe Summen zu sparen. Ich denke auch an den Klimawandel. Auch hier wird oft versucht, die Verantwortung auf Einzelne abzuwälzen, während die großen Verursacher – sei es durch fossile Energie, Umweltverschmutzung oder Raubbau – sich oft aus der Verantwortung stehlen.

Auf die Zukunft hin denken

Die Wahrheit ist unbequem: Der Klimawandel ist eine globale Herausforderung und er erfordert ein solidarisches Handeln. Es reicht nicht, von Einzelnen Verzicht zu verlangen. Es braucht Veränderungen im Denken, hin zu einem Bewusstsein für diese Gemeinschaft.

Aber ich möchte die Rolle der Wahrheit nicht nur negativ sehen. Im Gegenteil: Die Wahrheit ist auch eine Chance. Sie gibt uns die Möglichkeit, die Dinge so zu sehen, wie sie sind – und darauf aufzubauen. Eine Vision für die Zukunft kann ich nur dann entwickeln, wenn ich ehrlich mit meinen Ressourcen bin. Das gilt nicht nur für die großen globalen Themen, sondern auch für unser persönliches Leben.

Sag, wie hast du’s mit der Wahrheit

Für mich ist es auch ein Stück Wahrheit, dass es einen Gott gibt. Es ist ein Fundament, auf dem ich stehen kann. Es ist kein starres Dogma, kein Zwang, sondern eine Einladung. Eine Einladung, mein Leben auf etwas Echtem, Beständigem aufzubauen. Das dauert manchmal auch, mein Glaube ist nichts, was ich von jetzt auf gleich habe.

Es ist wie beim Lernen: Sei es in der Schule, Ausbildung oder Uni. Ich checke vielleicht nicht von Anfang an alles. Aber auch, wenn ich von dieser tieferen Wahrheit nicht alles verstehe oder zu allem den perfekten Einblick habe – was ich habe, ist ein Fundament, von dem aus ich weitergehen kann und die Fakten tiefer erforschen. Letztlich erfahre ich dann auch wirkliche Gemeinschaft mit Menschen, die auch auf der Suche nach der Wahrheit sind.

Und ich glaube, das brauchen wir alle, in der ein oder anderen Form. Eine Wahrheit, die uns Orientierung gibt, die uns ermutigt, Verantwortung zu übernehmen – für uns selbst, für andere, für diese Welt, für die Zukunft.

Was am Ende zählt

Was bedeutet das jetzt konkret, gerade im Zusammenhang mit der bevorstehenden Wahl? Für mich bedeutet es vor allem eines: Genau hinschauen. Nicht alle Parolen glauben, die geschrien werden. Fragen stellen. Fakten prüfen. Und mich daran erinnern: Die Wahrheit ist eben keine Frage der Lautstärke.

Es ist leicht, sich von großen Worten oder emotionalen Appellen mitreißen zu lassen. Aber am Ende zählt, was Substanz und Fakten hat. Und das erkenne ich nur, wenn ich bereit bin, genauer hinzusehen – und hinzuhören.

Ich wünsche mir, dass wir gerade in diesen Wahlkampfwochen mehr bei den Fakten bleiben… In der Politik, im Glauben, im Alltag. Die Wahrheit ist nicht immer bequem, aber sie ist das Einzige, auf dem wir wirklich aufbauen können und mit der Wahrheit lässt sich besser die Zukunft gestalten.

 


[1]    https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/buergergeld-162.html

[2]    https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/buergergeld-warum-sich-die-zahl-der-totalverweigerer-nicht-einfach-ermitteln-laesst-a-29f20d64-dcfb-4e0b-949a-57944bea0c8c & https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/buergergeld-162.html

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