Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Neujahrsinventur - Prüft alles, behaltet das Gute!
GettyImages/Mariakray

Neujahrsinventur - Prüft alles, behaltet das Gute!

Tanja Griesel
Ein Beitrag von Tanja Griesel, Evangelische Schulpfarrerin, Fritzlar
Beitrag anhören:

Kleidersäcke und Kisten stapeln sich im Gemeindezentrum. Auch ich habe eine Kiste gepackt – Bettwäsche, Hosen, Mäntel, Kinderkleidung. Kaum zu glauben, was sich über die Jahre ansammelt. Dinge, die niemand mehr in unserer Familie trägt, niemand mehr nutzt. Besonders viel ist es dieses Mal, weil wir umgezogen sind – ein Anlass, wirklich gründlich auszumisten.

Für mich passt das gut in den Januar. Der Jahresanfang motiviert mich, innezuhalten und eine Inventur zu machen – nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Gerade findet in unseren Kirchengemeinden die alljährliche Kleidersammlung der Bodelschwingh-Stiftung aus Bethel statt. Schon Wochen im Voraus liegen Kleidersäcke bereit, um gefüllt zu werden. Gesammelt wird nicht, was eigentlich in den Müll gehört, was defekt ist oder verschlissen. Alles, was gut erhalten ist und für andere noch nützlich sein kann, darf gespendet werden. Bei mir hat ein Sack dieses Mal nicht gereicht. Darunter sind Dinge, die nicht mehr passen oder Sachen, von denen ich viel zu viel besitze, wie zum Beispiel Bettwäsche. In der Regel werden die Spenden später sortiert, aufbereitet und verkauft. Die Erlöse fließen dann in die Unterstützung von sozialen Projekten.

Natürlich habe ich auch schon gezögert, Kleidung zu spenden. Wohin gehen die Sachen wirklich? Werden sie gebraucht? Doch je mehr ich mich mit Organisationen wie der Bethel Brockensammlung auseinandergesetzt habe, desto sicherer bin ich: Wenn ich an geprüfte Stellen spende, trage ich dazu bei, anderen Menschen zu helfen. Und es tut auch mir gut: Ballast loszuwerden schafft Platz – nicht nur in den Schränken, auch im Kopf.

„Prüft alles und behaltet das Gute“(1. Thessalonicher 5,21) – Diese Empfehlung aus dem Neuen Testament ist die Jahreslosung für 2025. Die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen sucht jedes Jahr einen Bibelvers aus, der als Thema über dem neuen Jahr steht. Das Wort soll uns wie ein Motto durch das Jahr begleiten. Prüft alles und behaltet das Gute“ Diese Losung passt für mich perfekt zu meiner Neujahrsinventur. Dabei schließt das nicht nur meine Schränke und Schubladen ein. Meine persönliche Bestandsaufnahme geht tiefer. Ich möchte für mich auch innerlich klären, was bleibt und was losgelassen werden darf. So entsteht Raum für das, was wirklich wichtig ist.

Musik

„Prüft alles und behaltet das Gute“ – Das gilt nicht nur fürs Ausmisten. Das gilt auch fürs Behalten. Beim Sortieren fallen mir Gegenstände in die Hände, die mir wichtig sind. Viele davon sind weder nützlich, noch notwendig. Die getrocknete Rose in einer Jane Austen Schmuckausgabe. Ein Ring meiner Oma, der mir nicht passt und dessen Stein nicht mehr festsitzt. Einzelne Fotos, die es nie in ein Album geschafft haben. Eine erbsengrüne Bluse, ausgeblichen und dünn. Aber mit ihr verbinde ich viele schöne Feste. Beim Durchsehen der Schubladen fallen mir auch selbstgebastelte Karten meiner Kinder in die Hände. Sie wohnen mittlerweile nicht mehr zu Hause. Aber wenn ich die bunte Karte mit der ungelenken Schrift anschaue, wird es mir warm ums Herz. Manche Dinge möchte ich gern aufheben. Aufheben, als wertvolle Erinnerungen.

 

Eine Freundin erzählte mir von einem besonderen Fund, den sie beim Aufräumen gemacht hat. Unter anderem Kram verborgen, ist sie auf ein kleines Kästchen mit Briefen gestoßen. Mitschüler hatten ihr diese vor vielen Jahren geschrieben. Sie war krank und konnte nicht mit auf Klassenfahrt fahren. Heute – mit so vielen Jahren Abstand – ist sie erstaunt: Mit welchen, freundlichen und mitfühlenden Worten die Klasse sie bedacht hatte. Damals hatte sie geglaubt, sie wäre nicht beliebt, eher jemand, der als schwierig gilt, jemand, der am Rand steht, nicht mittendrin. Die Briefe heute zu lesen, erfüllt sie mit Freude. Nicht nur, dass sie sich an diese liebenswerten Worte erinnert, sie beginnt auch, sich selbst und ihre Schulzeit in einem neuen Licht zu sehen. Die Briefe haben ihr geholfen, ihre damalige Unsicherheit zu hinterfragen und ihren eigenen Wert zu erkennen. Sie wird ihren Fund wie einen Schatz hüten und mit einem neuen, wohlwollenderen Blick auf ihre Vergangenheit zurückschauen. Und sie freut sich auf das nächste Klassentreffen.

 

„Prüft alles und behaltet das Gute.“ Dieser Rat bezieht sich nicht nur auf das Aussortieren von Dingen. Nein. Manches lohnt es zu behalten. Meine Neujahrsinventur bedeutet nicht nur Loslassen, sondern auch Wertschätzen. Manches Gute trägt man nicht nur in Kisten, sondern auch im Herzen weiter.

Musik

„Prüft alles und behaltet das Gute“ – Das könnte auch ein Aufräum-Coach sagen. Aber der Satz stammt von Paulus. Und es ist ein Rat für eine junge Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Thessaloniki. Dort kommen ganz unterschiedliche Menschen zusammen. Unter ihnen sind ehemalige Heiden, Juden und Menschen verschiedener sozialer Herkunft. Sie alle bringen ihre Traditionen, Ansichten und Lebensweisen mit – eine explosive Mischung. Kein Wunder, dass sie oft streiten. Paulus ermutigt sie, kritisch zu prüfen, was den Glauben und ihre Gemeinschaft stärken. Diese Diskussionen kosten Zeit und Nerven. Aber sie sind wichtig. Am Ende steht nicht das, was trennt, sondern das, was verbindet. Das ist eine Basis, auf die sie aufbauen können.

Für mich ist der Ratschlag von Paulus heute noch aktuell: Auch mein Leben ist voll von Informationen, Meinungen und Gewohnheiten. Manche davon habe ich nie hinterfragt, andere scheinen überholt. Ich denke an meine Oma. Für sie war der Sonntag ein Ruhetag. Sie hielt sich strikt daran: kein Putzen, kein Spielen, nur Familie und Stille. Heute sieht mein Sonntag anders aus. Die Kinder gehen mittlerweile ihre eigenen Wege. Wir treffen Freunde, gehen spazieren oder arbeiten das auf, was in der Woche liegen geblieben ist. Die Idee der Ruhe habe ich trotzdem nicht aufgegeben. Wenn ich es am Sonntag nicht schaffe, versuche ich mir eine kleine Auszeit an einem anderen Tag zu nehmen. Ich mache dann bewusst etwas für mich. Ich gehe schwimmen. Ich lese. Oder ich setze mich in eine offene Kirche und genieße die Stille.

Meine Neujahrsinventur ist noch nicht abgeschlossen. Das Jahr ist ja auch noch jung. Meine Bestandsaufnahme geht weiter. Ich öffne dabei nicht nur meine Schränke, auch meine inneren Einstellungen und Gewohnheiten nehme ich unter die Lupe. Das braucht etwas mehr Zeit, als meinen Schreibtisch aufzuräumen. Ich prüfe mich selbst und frage: Was trage ich mit mir herum, das mich belastet? Und was schenkt mir Frieden oder Freude? Welche Glaubenssätze möchte ich neu betrachten? Nicht alles, was früher gepasst hat, muss für immer bleiben.

„Prüft alles und behaltet das Gute“ – den ersten Schritt bin ich gegangen. Und das fühlt sich schon jetzt richtig gut an.

 

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren