
Guter Hoffnung sein
Die Tür zum Kinderzimmer meines Sohnes geht nur zur Hälfte auf: Grund dafür ist nicht ein Konstruktionsfehler, sondern der Berg mit Kleidungsstücken, der direkt hinter der Tür liegt. Die Klamotten sind eine Mischung: ein Teil muss zum Waschen, der andere ist frisch und gehört eigentlich in den Schrank neben der Tür. Das Stillleben im Zimmer kennt aber noch weitere Gestaltungselemente: Auf dem Fußboden liegt ein Cuttermesser vom letzten Praktikum beim Zimmermann, daneben ist die Sporttasche, aus der ein Schuh rankt. Etwas weiter daneben liegt der Mathehefter, dicht gefolgt von Süßigkeitenpapier. Das wiederum hat vermutlich nicht mehr in den überlaufenden Mülleimer im Zimmer gepasst. Gleichzeitig liegen noch einige leere Wasserflaschen herum, fast so, als wären sie ein Kompass, um im Chaos den Weg zum Bett zu finden. Mit aller Ironie in meinen Worten staune ich, wie sich mein Sohn in seinem Zimmer so zurechtfindet.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Meine Frau findet diese Szenerie nicht so amüsant. Und so ist es vor einer Woche wieder so weit. Der Großputz findet statt und meine Frau und ich helfen hier und da mit. Mitten im Aufräumen kommt es zu folgendem Wortwechsel, den ich mit dem heutigen Neujahrstag verbinde. Meine Frau sagt zu meinem Sohn: „Ich hoffe, du räumst dein Zimmer im nächsten Jahr öfter auf.“ Daraufhin grinst mein Sohn und erwidert: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
Mir bleibt dieser Dialog noch länger im Kopf hängen. Klar ist, die Redewendung „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist nicht mit dem Aufräumen verbunden. Ich will Ihnen, liebe Zuhörende, auch keinen Druck machen, wenn bei Ihnen vom gestrigen Silvesterabend noch etwas zum Aufzuräumen übrig ist. Nein, auf der Türschwelle hinein ins neue Jahr frage ich mich: Was ist eigentlich Hoffnung?
Es könnte Optimismus sein, also jene Lebenseinstellung, die geschehene Dinge und Ereignisse erst einmal positiv betrachtet. Auch die Zukunft bewerten Optimisten grundsätzlich gut und rechnen mit dem Besten. Doch diese Perspektive fällt mir persönlich schwer. Ich hadere zum Beispiel damit, angesichts der trüben Wirtschaftsaussichten oder der vielen Kriege in der Welt zu sagen: Es wird alles gut. Das klingt mir zu einfach und hat etwas von Schönfärberei. Ich bezeichne mich also nicht als Optimisten, doch sehr wohl als hoffnungsvollen Menschen. Es muss also zwischen Optimismus und Hoffnung ein Unterschied sein. Dem will ich nachgehen.
Musik
In der katholischen Kirche wird am Neujahrstag besonders auch an Maria gedacht. Sie hat der Überlieferung nach an Weihnachten, also an jenem Fest genau vor einer Woche, Jesus geboren. Mit meiner Frage, was Hoffnung ist, blicke ich auf sie.
Als erste Szene kommt mir die Begegnung von Maria mit dem Engel in den Sinn. Der himmlische Bote verkündet ihr Gottes Plan und sie willigt ein. Wenig später ist sie mit Jesus schwanger, oder wie der Volksmund sagt, sie ist in guter Hoffnung.
Hoffnung lässt uns „aufspringen“
Diese Redewendung mit positivem Blick in die Zukunft steckt zunächst in der ursprünglichen Wortbedeutung nicht. Die Antike verwendet das Wort für lediglich für Zukünftiges, egal ob es gut oder schlecht ist. Der positive Sinnzusammenhang kommt laut Sprachforschern erst im Deutschen dazu.1 Vermutlich vermischt sich das englische „hope“ – für Hoffnung mit dem deutschen Wort „hüpfen“. Hoffnung bezeichnet fortan also einen Zustand, der froh „vor Erwartung aufspringen“ lässt. In dieser Deutung macht es Sinn, dass eine Frau mit einem sich bewegenden Kind im Mutterleib als in guter Hoffnung zu sein bezeichnet wird.
Maria ist also eine solche Hoffnungsbotin. Und sie begegnet in Bethlehem noch weiteren: Nach der Geburt Jesu im Stall besuchen Hirten das Neugeborene. Genau von diesem Ereignis berichtet der biblische Text, der heute im katholischen Sonntagsgottesdienst vorgetragen wird.2 Da heißt es wörtlich aus dem Lukasevangelium: „Die Hirten eilten nach Betlehem und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag. Als sie es sahen, erzählten sie von dem Wort, das ihnen über dieses Kind gesagt worden war“3, so der Text wörtlich. Diese beiden Sätze klingen sehr nüchtern. Es bleibt hier offen, ob das verheißene Wort nun gut oder schlecht war. Es scheint lediglich die antike Wortbedeutung von Hoffnung durch, indem neutral über etwas Zukünftiges berichtet wird.
Hoffnung, die unser Herz berührt
Doch die Bibel löst diese Spannung auf. Im nächsten Satz heißt es nämlich: „Und alle, die es hörten, staunten über das, was ihnen von den Hirten erzählt wurde. Maria aber bewahrte diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen."4 In diesem Zitat fehlt zwar noch immer eine letzte Konkretion, doch das Staunen und die Rührung im Herzen lege nahe: Die Hirten verkünden eine gute und hoffnungsfrohe Botschaft über das Kind in der Krippe.
Zwei Dinge werden mir klar: Hoffnung geht zu Herzen, und zwar sogar in den widrigen Umständen inmitten eines armseligen Stalls. Und Hoffnung ist für Gläubige eng mit Jesus verbunden.
Musik
Was ist nun der Unterschied zwischen Hoffnung und Optimismus? Die Szene im Stall von Bethlehem mit Maria und den Hirten beschreibt für mich mehr die Hoffnung als den Optimismus. Es ist nämlich nicht klar, dass alles gut ausgeht. Erst recht mit Blick auf das weitere irdische Leben Jesu passiert gerade das nicht, endet es doch am Kreuz. Doch in der Begegnung von Maria mit den Hirten wird eine Hoffnung spürbar, die von Gott ausgeht. Es wird etwas greifbar, was der tschechische Dramatiker und Menschenrechtler Vaclav Havel einst wie folgt beschrieb: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“5
Und hier liegt für mich der wesentliche Unterschied von Hoffnung und Optimismus: Hoffnung hat einen tieferen Sinn, der sich mir vielleicht erst viel später erschließt oder den ich auch nie erkenne. Doch ich habe als gläubiger Mensch die Zuversicht, dass Gott dieser Sinn ist und er ihn mir einst erschließt. Nicht umsonst gehört die Hoffnung neben Glauben und Liebe zu den drei göttlichen Tugenden. Wer also an ihn glaubt, ihn, den nächsten und sich selbst liebt, darf in guter Hoffnung sein. Das schließt die eigene Mitwirkung natürlich ein: Es gilt also, nicht einfach die Hände in den Schoß zu legen, sondern das Mögliche im Leben zu tun. Dazu gehört dann eben immer auch die Hoffnung auf Gott, der mich begleitet und manchmal vielleicht auch trägt.
Die Hoffnung, die das Heilige Jahr verspricht
Diese frohe Perspektive steckt im neuen Kalenderjahr noch einmal ganz besonders: Und das hat nicht mit einer Kinderzimmertür zu tun, hinter der so manches Chaos stecken kann. Es geht um Heilige Pforten, jene besondere Türen zu großen Papstkirchen in Rom. Immer zu einem sogenannten Heiligen Jahr, das alle 25 Jahre begangen wird, werden diese geöffnet. Viele Pilgerinnen und Pilger aus aller Welt kommen nach Rom und ziehen durch sie hindurch. Es geht darum, sich in Wallfahrt und Gebet neu im Glauben an Jesus auszurichten.
Papst Franziskus hat in der vergangenen Woche an Heiligabend die erste dieser Pforten im Petersdom geöffnet. Damit beginnt sichtbar das Heilige Jahr 2025, das unter dem Motto „Pilgernde der Hoffnung“ steht. Ich freue mich auf dieses Jahr und ich will mir dieses Motto persönlich zu eigen machen. In guter Hoffnung schaue ich trotz - oder gerade inmitten - dieser Unsicherheiten der Welt und auch inmitten der Unordnung, im eigenen Herzenskämmerlein, hinein ins neue Jahr. Ich will mich, wie Maria, im Herzen anrühren lassen und Hoffnung in die Welt tragen. Vielleicht ist diese Perspektive auch etwas für Sie. Auf jeden Fall wünsche ich Ihnen von Herzen ein hoffnungsfrohes und gesegnetes Neues Jahr.
1„Hoffnung“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Hoffnung>, abgerufen am 07.12.2024.
2Lukasevangelium Kapitel 2, Verse 16 bis 21.
3Lukasevangelium Kapitel 2, Verse 16 und 17.
4 Lukasevangelium Kapitel 2, Verse 18 und 19.
5https://www.fr.de/politik/held-leben-liebte-11370787.htm, abgerufen am 07.12.24