Ihr Suchbegriff
Gottesdienst zum Amtswechsel
Foto: Peter Bongard

Gottesdienst zum Amtswechsel

Ein Beitrag von Prof. Dr. Christiane Tietz, Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Darmstadt

Hier können Sie den Gottesdienst anschauen und mitfeiern, hier finden Sie weitere Informationen - und im Folgenden die Predigt von Kirchenpräsidentin Christiane Tietz. 

Evangelischer hr-Fernsehgottesdienst aus der Lutherkirche Wiesbaden
Verabschiedung von Kirchenpräsident Volker Jung und Einführung von Kirchenpräsidentin Christiane Tietz
Sonntag, 26. Januar 2025, 11.00 Uhr bis 12.15 Uhr

Mitwirkende

  • EKD-Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs
  • Kirchenpräsident Dr. Dr. h.c. Volker Jung
  • Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Christiane Tietz
  • Stellvertretende Kirchenpräsidentin Ulrike Scherf
  • Präses Dr. Birgit Pfeiffer
  • Pröpstin Sabine Bertram-Schäfer
  • Bischof Dr. Georg Bätzing
  • Vertreter*innen aus Partnerkirchen von vier Kontinenten:
    • Für Asien aus Indien Bischof Pradeep Kumar Samantaroy
    • Für Afrika aus Tansania Bischof Dr. Benson Bagonza
    • Für Europa aus der Waldenser-Kirche Moderatora Alexandra Trotta
    • Für die USA Conference Minister Rev. Dr. Marsha Williams (UCC)
  • Pfarrerin Ursula Kuhn, Luthergemeinde Wiesbaden
  • Ute Ehlert, Gemeindemitglied aus der EKHN-Kirchenleitung
  • Jens Balondo, Indonesische Gemeinde

Mitwirkende Musik:

  • Orgel 1 Stefan Küchler
  • Orgel 2 Clemens Bosselmann
  • Singakademie Wiesbaden, Leitung: Niklas Sikner
  • Bachchor Wiesbaden, Leitung Niklas Sikner Standort rechts vom Altar bei Draufsicht, ca. 50 Personen
  • Bläser-Ensemble Bläserkreis der Bergkirche Wiesbaden, Leitung Christian Pfeifer Standort in der Mitte hinter dem Altar: 8 Trompeten, 3 Hörner, 4 Posaunen, 1 Tuba.

Musikalische Gesamtleitung: Landeskirchenmusikdirektor Stefan Küchler

Predigt Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Christiane Tietz:

Liebe Gemeinde,

„Reden Sie nicht über Politik und Religion! Wählen Sie lieber unverfängliche Themen wie das Wetter oder Urlaubspläne!“ Diese Empfehlung hört man als Regel für berufliche Kontakte oder vor Familienfesten und Geburtstagsfeiern. Zu groß scheint die Gefahr, dass die Stimmung kippt und es zu Streitereien kommt, wenn der Onkel eine politische Meinung vertritt, die den anderen absurd vorkommt. Oder wenn die Enkelin zum Ausdruck bringt, dass sie vom Glauben der Großeltern nichts hält. Darum haben sich viele Menschen angewöhnt, Religion und Politik dort und auch anderswo gar nicht erst zum Thema zu machen, sobald es kontrovers zu werden droht.

Diese Zurückhaltung ist manchmal verständlich. Nicht immer hat man die Kraft zur Auseinandersetzung. Und zu streiten passt nicht, falls man jemanden gerade erst kennengelernt hat. Diese Zurückhaltung kann aber auch gefährlich werden. Gefährlich wird sie für die Politik: Sobald sich Menschen mit anderen Argumenten nicht mehr auseinandersetzen, verhärtet sich die eigene Sicht. Und die Zurückhaltung schadet der Religion: Sobald innerhalb der Familie oder des Freundeskreises nicht mehr über Religion gesprochen wird, wird sie im persönlichen Alltag bedeutungslos und fremd.

Der Apostel Paulus war hier anders. Er redete über Religion, vor allem über sie. Er sprach über seinen Glauben. Paulus schrieb im ersten Kapitel seines Briefes an die Christinnen und Christen in Rom: „Zur guten Nachricht, zum Evangelium, bekenne ich mich offen und ohne Scheu. In ihr ist die Kraft Gottes am Werk und rettet alle, die der Botschaft glauben und sie im Vertrauen anerkennen.“

Paulus hat für sich eine gute Nachricht entdeckt: Gott ist mir freundlich zugewandt, er hat mich ins Herz geschlossen. Gott hört mir zu. Gott spricht mich an. Gott gibt mir Kraft, falls ich müde und ausgelaugt bin. Gott hält mich fest, falls ich den Boden unter den Füßen zu verlieren drohe. Egal, was passiert: Gott ist mir nah.

Das Beste an dieser Nachricht war für Paulus: Ich muss mir keinen Weg zu Gott bahnen, ich muss mich nicht erst an Gott heranarbeiten. Denn in Jesus Christus ist mir Gott längst nahegekommen. Auf diese Nähe Gottes zu mir will ich vertrauen. Davon will ich mein Leben bestimmen lassen.

Diese gute Nachricht änderte die Sicht des Paulus auch auf die Menschen um ihn herum. Gott ist ja allen Menschen freundlich zugewandt, den Menschen im Osten und Westen wie im Norden und Süden. Für Gott ist jeder einzelne Mensch wertvoll. Gott hat jeden Menschen ins Herz geschlossen. Das hat Paulus geglaubt, das glaube ich auch. Gott hat Sie und mich, jede und jeden von uns ins Herz geschlossen.Für Paulus jedenfalls war dieser Glaube so wichtig, dass er der ganzen Welt davon berichten wollte. Er plante nach Rom zu reisen, in eine Stadt mit Menschen aus unterschiedlichen Weltgegenden, um dort von der guten Nachricht von Gott zu sprechen.

Paulus bekannte sich zur guten Nachricht. Darin gab er sich selbst zu erkennen. Er erzählte von sich. Denn die gute Nachricht hatte ja mit ihm und seinem Leben zu tun. Er erzählte Menschen davon, wie Gottes Geist ihm Kraft schenkte und in Gesprächen einen klaren Kopf. Er fand den Mut, auch von seiner Krankheit zu sprechen und von seinen Ängsten. Er schilderte den Menschen, wie er versucht hat, auch dann auf Gott zu vertrauen. Und erlebt hat: Gott trägt ihn selbst dann.

Auch ich, Christiane Tietz, will davon erzählen, wie mich die gute Nachricht trägt, dass Gott mir freundlich zugewandt und nah ist. In Morgenstunden an schwierigen Tagen versuche ich mich darauf zu verlassen, dass Gott in meiner Nähe ist. Ich bitte darum, dass Gottes Geist mir hilft, in Gesprächen passende Worte zu finden. Weil ich Gott vertraue, dass er mich begleitet, kann ich einen Schritt nach dem anderen gehen.

Über den Tag hinweg berührt mich Gottes Nähe, wann immer ich Glück erlebe. Ich spüre Gottes Nähe in den Bergen, wenn mich die Schönheit der schneebedeckten Gipfel überwältigt. Sie wird handfest für mich, sooft ich mich getragen fühle durch Familie und Freunde. Gottes Nähe erlebe ich auch dort, wo ich einem Fremden begegne und schnell Vertrauen da ist.

Auch am Abend besinne ich mich oft darauf, dass Gott mir nah ist. Das hilft mir, mich ehrlich anzuschauen und nüchtern Bilanz zu ziehen, wie der Tag war. Wo habe ich Dinge gut gemacht habe und wo nicht? Wo kann ich mit mir zufrieden sein und wo muss ich um Verzeihung bitten? So kann ich den Tag loslassen und in Gottes Hände legen. Das gelingt mir nicht an jedem Abend. Aber falls es mir gelingt, macht es mich froh.

Auch in meinem neuen Amt will ich mich weiter so von der guten Nachricht tragen lassen. Und ich hoffe, dass ich mit vielen von Ihnen darüber ins Gespräch kommen kann, wie das bei Ihnen ist. Für mich ereignet sich da Kirche: Wir reden zueinander von unserem Glauben an Gott und geben uns dabei selbst zu erkennen. Dann entsteht Gemeinschaft, dann wird Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden lebendig.

Paulus konnte von seinem Glauben so persönlich sprechen. Häufig kann ich es auch. Manchmal fühlt es sich aber viel zu persönlich und fast peinlich an, über den eigenen Glauben zu reden. Warum ist das eigentlich so?

Orgelvariation

Über den eigenen Glauben reden: Ich vermute, es fühlt sich deshalb manchmal viel zu persönlich an, weil es persönlich ist. Ich zeige damit, was mich tief innen drin beschäftigt. Ich zeige, worauf ich hoffe, nach wem ich suche, woran ich zweifele.

Paulus sagt, es lohnt sich, sich so zu öffnen. Großeltern erzählen dann ihrer Enkelin, wie ihr Gottesdienstbesuch sie durch die Woche trägt. So kann die Enkelin sie vielleicht verstehen. Dafür ist Sprache doch eigentlich da: dass wir uns miteinander verständigen. Wann immer das gelingt, kommen wir uns nah und Gemeinschaft entsteht.

In unserer Gesellschaft erleben wir das oft anders, gerade bei politischen Themen. Der Umgangston wird rauer. Sprache dient zum Abgrenzen: „wir“ – „die“. Einmal bleiben Worte floskelhaft, um nicht anzuecken. Ein anderes Mal werden Worte wie Waffen benutzt, um andere zu verletzen. Dann wieder verstummen Menschen, weil es sinnlos erscheint, nochmal und nochmal etwas zu sagen. Ehrlich gesagt machen wir solche Erfahrungen auch in der Kirche. 

Es wirkt so, als gehe es bei politischen Themen nur um Meinungen und Argumente. Sie sind wichtig! Doch es geht auch um Gefühle. Sie spielen eine große Rolle, wenn wir miteinander sprechen. Fühle ich mich im Gespräch durch das Gegenüber abgelehnt oder bedroht, höre ich nicht mehr zu. Ich gehe in Verteidigungshaltung oder verletze durch Worte oder hülle mich in Schweigen. Gelingt es dem Gegenüber aber, mir freundlich zugewandt zu bleiben, höre ich wieder zu. Ich traue mich im besten Fall, auch von mir selbst zu reden. Vielleicht erzähle ich dann dem Onkel, was seine politische Sicht bei mir an Ängsten auslöst. Und vielleicht erzählt er mir dann von seinen Ängsten.

Solche Gespräche sind anstrengend und mühsam. In den nächsten Wochen bis zur Wahl und sicher auch danach wird es uns fordern, im Gespräch zu bleiben. Woher kann die Motivation dazu kommen?

Ich als Christin glaube, dass Gott allen Menschen freundlich zugewandt ist. Mir ist wichtig, dass wir als Kirche ein Ort sind, an dem Menschen die Zuwendung Gottes spüren und zeigen. Dass wir Gelegenheiten schaffen, bei denen Menschen – auch bei politisch umstrittenen Themen – im Gespräch bleiben. Ja, wir müssen als Kirche selbst immer wieder üben, freundlich zugewandt zu sein. Aber wir wollen auch dazu beitragen, dass wir in der Gesellschaft uns zugewandt bleiben in der Haltung: Ich nehme dich als Mensch wahr, mit deinen Hoffnungen, Ängsten und Sorgen. Das mache ich, obwohl ich nicht alle deine Positionen teile. Ich bin neugierig auf das, was du zu sagen hast. Ich höre dir erst einmal zu. Und ich erzähle auch von mir. Nicht jedes Gespräch gelingt so. Manche Gespräche brechen ab. Aber wir wollen keinen Menschen aufgeben. Wir hoffen darauf, dass das Gespräch irgendwann weitergehen kann.

Reden wir über Religion und Politik! Wir können uns dabei als Menschen wahrnehmen und als Menschen zeigen. Wenn wir als Menschen erkennbar werden, die ängstlich sind und sich sorgen und zweifeln, aber auch hoffen und glauben, kurz: als lebendige Menschen, dann wird das die Menschlichkeit unter uns vermehren, die unsere Zeit so nötig braucht.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren