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Der Wanderer
Bild: Smileus_GettyImages

Der Wanderer

Christine Findeis-Dorn
Ein Beitrag von Christine Findeis-Dorn, Supervisorin/Coach DGSv, Wiesbaden, katholisch
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Ob er inzwischen angekommen ist? Im November bin ich in der Mainzer Altstadt einem Wanderer begegnet. Ungefähr Mitte 60, in gelbem Anorak, mit einem Schild: „Bitte um eine kleine Spende für meine Wanderung durch Deutschland.“ Ich habe ihm eine Münze in seine Büchse gesteckt und bin ins Gespräch mit ihm gekommen.  

„Wohin gehen Sie denn?“, habe ich gefragt. „Jetzt nach Hause“, hat er geantwortet. Ich war neugierig: „Wo ist das? Wo waren Sie vorher? Und wie lang waren Sie denn unterwegs?“

Sieben Jahre quer durch Deutschland

Der Wanderer hat mir bereitwillig Auskunft gegeben. Seine Antwort auf meine letzte Frage aber hat mich völlig umgehauen: Sieben Jahre war er unterwegs, mit Rucksack und seinem Trolley mit Zelt, Schlafsack und Isomatte. Sieben Jahre quer durch Deutschland, von München bis Kiel, zwischen Trier und sächsischer Schweiz.

Eigentlich wollte er erst nach seiner Rente wandern

Nach Familie oder Privatleben zu fragen, habe ich mich nicht getraut. Aber nach seiner Motivation. Und er hat erzählt: Die meiste Zeit seines Berufslebens war er im Ausland unterwegs, auf Baustellen rund um den Globus. Eigentlich wollte er erst nach seiner Rente wandern. Aber: Würde die Kraft bis dahin reichen? Das Geld auf dem Sparkonto genügt für die Krankenversicherung. Und so hat er sich auf den Weg gemacht. Zwischendurch gejobbt - und um Spenden gebeten. Ab 1. Januar bekommt er Rente. Dann ist auch wieder Miete für eine Wohnung möglich und ein bescheidener Lebensunterhalt.

„Und was machen Sie dann?“ habe ich gefragt. „Die Nord- und Ostsee fehlen mir noch, dahin will ich unbedingt“, hat er geantwortet, mit einem Lächeln. Ein Lied fiel mir dazu ein: „Pilger sind wir Menschen, suchen Gottes Wort. Unerfüllte Sehnsucht treibt uns fort und fort.“

Was ist meine unerfüllte Sehnsucht?

Natürlich können sich nicht alle einfach auf die Socken machen, schon gar nicht für so lange Zeit. Dazu braucht es Freiheit, gewisse Rücklagen, Gesundheit - und Mut.

Aber was ist meine unerfüllte Sehnsucht? Das möchte ich heute überlegen, am letzten Sonntag des Jahres. Dieser Sehnsucht will ich dann nachgehen im neuen Jahr - mit Gottes Geleit.

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