Nur die eine Hand
Sie sitzt aufrecht im Bett, als ich in ihr Zimmer komme - hat wohl schon gewartet. Und begrüßt mich fröhlich mit den Worten: Sie sind schon der Zweite, der mich heute besucht. Ich frage, ob ich mich zu ihr setzen darf. Dann erzählen wir uns, wie das Leben so ist. Hier im Heim und draußen in der Stadt.
Die alte Dame erzählt gerne aus ihrem Leben
Ich wohne nicht weit von ihrer ehemaligen Wohnung. Wir kennen uns ein bisschen. Ich weiß, warum die vielen Bilder an der Wand hängen: ihr verstorbener Mann, der Sohn, die zwei Enkelinnen. Alle schauen freundlich, als würden sie auf die alte Dame aufpassen. Die erzählt gerne, wie alles so läuft in der Familie.
Worauf man im Leben nicht verzichten kann
Dann lehnt sie sich ein wenig im Bett zurück, wie entspannt, richtet ihre Decke, schaut auf das Bild ihres Sohnes und sagt: Wissen Sie, man kann im Leben auf vieles verzichten; aber nicht auf die eine Hand, die uns hält. Jetzt kommt ihre Hand aus der Decke. Ich fühle, was ich jetzt tun möchte. Ich nehme ihre Hand und drücke sie ein bisschen. Wie ein kleines Spiel ist das, aber sehr ernst.
Ein Zeichen des Himmels: Die eine Hand, die uns hält
Ich weiß, dass die Dame Recht hat. Die eine Hand ist der große Trost. Ganz gleich, wem sie gehört: der Schwester oder dem Nachbarn; der Pfarrerin oder den Enkeln. Auf die eine Hand kann man nicht verzichten. Man braucht sie, hält sie fest und wird gehalten. Als sei Gott ganz bei mir und hielte mich an meiner rechten Hand. Die eine Hand im Leben ist sein Zeichen des Himmels: Du bist nie alleine. Du gehörst zu mir.