"Übertreib nicht!"
„Übertreib nicht!“, hat meine Mutter früher manchmal gesagt, wenn ich mich zu sehr in etwas hineingesteigert habe. „Übertreib nicht!“, sagt auch der Prediger in einem Buch der Bibel.
Viele sehen in ihm den weisen König Salomo. Seine jugendliche Sturm- und Drangzeit ist vorüber, er hat viel erlebt und durchdacht. Nun gibt er seine Beobachtungen und Erkenntnisse weiter. „Übertreib nicht!“ ist einer seiner Ratschläge.
Übertreib nicht - auch nicht die Frömmigkeit
Das bezieht der Prediger auf alles im Leben. Sogar auf die Frömmigkeit. Denn oft hat er gesehen:„Da ist ein Gerechter, der geht zugrunde in seiner Gerechtigkeit, und da ist ein Gottloser, der lebt lange in seiner Bosheit.“ (Prediger, 8, Vers 15 ff.) Recht hat er. Das habe ich auch schon oft beobachtet.
Menschen, die meinen, genau zu wissen, was Gottes Wille ist, aber auf andere herabsehen. Andere, die nur für ihren eigenen Vorteil leben, aber ungestraft bleiben. Deshalb: Sei nicht allzu gottlos, nicht allzu gerecht, nicht allzu weise und sei nicht dumm!
Ehrlich gesagt: in der Bibel hätte ich das so nicht erwartet! Da müsste doch stehen: Bemühe dich, so weise und gerecht wie möglich zu sein! Gibt es denn ein „zu weise“ und „zu gerecht“? Kann man dabei übertreiben?
Nicht aus dem Blick verlieren, dass man Mensch ist und Fehler macht
Ja, schon: wenn man dabei selbstgerecht wird und sich selbst weise vorkommt. Wenn ich aus dem Blick verliere, dass ich ein Mensch bin, der auch Fehler macht und sich irren kann.Wir können gar nicht vollkommen weise sein. Oder gerecht. Das kann nur Gott.
Das im Blick zu behalten, das heißt für Salomo weise sein. Das schützt uns davor, selbstgerecht zu urteilen. Sich für besser zu halten als andere. Also: Übertreib nicht. Bleib selbstkritisch. Sei Mensch.