
Der alte Bischof stirbt
Als der alte Bischof stirbt, ist große Unruhe im Haus. Alles ist möglichst still, aber doch sehr angespannt. Man weiß um das Sterben des alten Herrn. Entsprechend groß ist die Besorgtheit. Alle tun, was zu tun ist - zugleich aber warten sie.
Der sterbende Bischof ist geachtet, aber nicht beliebt
Er ist zwar geachtet, der alte Bischof; er ist aber nicht beliebt. Ein großer, schlanker Mann, der keinen Zweifel duldet. Und immer gehörig maßregelt, wenn ihm etwas nicht passt. Jetzt stirbt er schon länger. Er selbst weiß es auch. Der Tod ist zu spüren. Aber er lässt sich Zeit. Das macht alle im Haus nervös. Niemand ist seiner Sache sicher.
Der Bischof weint
Nur der Bischof ist sich einer Sache noch sicher. Deswegen lässt er rufen. Sein Sekretär kommt sofort und findet den Bischof weinen. Das ist ungewöhnlich. Niemand hat den Bischof jemals weinen sehen. Der Sekretär setzt sich auf einen Stuhl neben das Bett. Der Bischof schweigt lange. Seine Tränen fließen still.
Keiner weiß, was Leiden ist. Bis man selbst leidet
Dann glättet er etwas umständlich seine Zudecke, wischt sich die letzten Tränen fort und sagt zu seinem Sekretär: Ich habe oft über das Leiden gepredigt; ich wollte andere trösten. Heute weiß ich: Ich hätte mehr schweigen sollen. Keiner weiß, was Leiden ist. Bis man selbst leidet. Dann sind Herz und Seele oft leer. (Eine Erzählung aus Frankreich).
Der Tod macht aufrichtig
Der Sekretär ist erschüttert. Der Bischof hat geirrt, hört er in den Worten. Er spricht über Zweifel und Angst. Das kannte man nicht bei dem strengen Mann. Der Tod macht wohl milde, denkt der Sekretär; der Tod macht aufrichtig. Und hellsichtig vielleicht. Der Bischof hat sich jetzt wieder beruhigt, sein Gesicht wirkt entspannt. Das mit dem Leiden hatte er unbedingt noch sagen wollen. Dass wir darüber nie sprechen dürfen, als wäre es ein Leichtes. Dass wir keinen falschen Trost erfinden dürfen, nur um uns selber zu beruhigen.
Gott einfach bitte: Bleib bei mir
Der Bischof weiß es jetzt, wo er selbst leidet. Nun sollen es auch andere wissen. Leid ist oft schrecklich, wie ein Abgrund. Man kann nur mit seiner Leere vor Gott treten und ihn bitten: Bleibe bei mir, mein Gott, stärke meine Sinne. Und schenke meiner Seele Trost.