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Verständnis, oder Die Schwere des Lebens
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Verständnis, oder Die Schwere des Lebens

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Es ist warm an dem Tag. Sie steht an der Haltestelle. Ich sehe, dass es ihr nicht wohl ist. Als sich die Türen der Straßenbahn öffnen, kommt sie hinein. Ihre Schritte sind klein und schwer. Hinter sich her zieht sie ihren Einkauf. Zum Glück ist die Tasche auf Rädern.

Die Frau in der Straßenbahn

Sie sucht sich den nächstbesten Platz und lässt sich darauf fallen. Es ist geschafft. Und sie ist geschafft. Ich sitze nicht weit von ihr und bekomme alles mit. Als sie sich etwas erholt hat, schaut sie in meine Richtung. Ich weiß nicht mehr, was mich dann bewegt - aber auf einmal lächele ich sie an. Sie zögert nicht und lächelt zurück.

Gegenseitiges Verstehen durch Zulächeln

Niemand sieht uns zu, aber wir verstehen uns, wie es scheint. Mit einem Lächeln zeigen wir uns das. Wir beide verstehen uns, sagen wir uns ohne Worte. Wir wissen um die Schwere des Lebens.

 Als ich kurz darauf aussteige, gibt es noch ein knappes Winken.

Zwei Fremde die Schwere des Alltags teilen für einen Moment

Zwei Menschen, die sich nicht kennen. Die aber für einen Moment etwas teilen. Ja, das Leben kann schwer sein. Schon der Alltag ist oft beladen. Jemand geht schwer, es ist warm und man muss einkaufen. Alles zusammen kann eine Last werden. Jemand fährt zur Arbeit und muss dauernd denken, ob es dem alten Vater daheim gut geht. Oder jemand weiß am Ende des Monats nicht mehr, wie das Essen bezahlt werden soll. Das ist alles alltäglich - und zugleich schwer. Und niemand kann einem wirklich etwas abnehmen.         

Schweres teilen durch gegenseitiges Verstehen

Es sei denn: Jemand versteht das. Ohne Worte. Vielleicht mit einem Lächeln. Dieses kleine Einverständnis von Fremden in der Straßenbahn: Ja, es gibt schwere Tage. Aber jemand versteht mich. Ich glaube, das mochten die Menschen an Jesus. Dass er sie verstand. Das er um die Schwere des Lebens wusste und sagte: Ja, man kann im Leben mühselig und beladen sein. Manchmal nur Stunden. Aber auch Tage oder Wochen. Und niemand kann uns wirklich helfen.

„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe“

Es sei denn: Jemand versteht das. Und trägt es mit. Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe (1. Kor. 16,14). Vielleicht noch mit einem Lächeln - sogar unter Fremden. Verständnis macht Lasten etwas weniger schwer.

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