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Das Beste war der Regen
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Das Beste war der Regen

Ein Beitrag von Dr. Volker Mantey, Propst, Marburg
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Das Beste war der Regen. Erinnern Sie sich? 26. Juli 2024 – Eröffnung der Olympischen Spiele. Die Mannschaften fahren auf der Seine nach Paris ein. Celine Dion singt vom Eiffelturm. Charles Coste, ein Radrennsportler, der 1948 in der Mannschaftsverfolgung Gold gewonnen hat, hält für einen Moment die Fackel. Er ist schon hundert Jahre alt und sitzt in einem Rollstuhl. Das Olympische Feuer tanzt über die Dächer der Stadt und gelangt am Ende zu einem Heißluftballon, der den Nachthimmel erleuchtet. Ich schaue gebannt zu. Das passiert mir sonst nicht so oft vor dem Fernseher

Der Regen macht die perfekte Choreografie menschlich

Das Beste war der Regen. Das Wasser spritzt um die Tänzer, während sie ihre Figuren tanzen. Athletinnen jubeln auf den Booten, wenn ihr Ländername ausgerufen wird, und ihre Haare hängen durchgeweicht von den Schultern. Alle freuen sich, dabei zu sein, auch wenn es den ganzen Abend schüttet. Der Regen macht diese perfekte Choreografie so herrlich menschlich. Und ein bisschen schadenfroh bin ich auch: Das ganze gut organisierte und einflußreiche Internationale Olympische Komitee hat über das Wetter dann doch noch keine Macht!

Alle begegnen einander in Würde und Respekt

Die Menschen in den Booten und am Ufer feiern. In Paris genießen sie den Frieden, den die Welt ansonsten so schmerzlich vermisst. Die Eröffnungsfeier lockt Gutes in den Teilnehmenden hervor: Alle begegnen einander in Würde und Respekt, unabhängig davon, woher jemand von ihnen kommt. Sie schenken ihrem Gegenüber ein Lächeln. An diesem Abend spielt es keine Rolle, dass sie in den Wettkämpfen auch Konkurrenten sein werden. Bei all den schlechten Nachrichten weltweit erleben sie für einen Moment, wie ein gutes Miteinander möglich ist.

Wer in Güte handelt, der handelt so, wie Gott es mit den Menschen tut

Die hebräische Bibel hat dafür ein schönes Wort: Chesed. Das heißt so viel wie: Güte oder liebevolle Zuwendung. In der jüdischen Tradition versteht man die chesed so, dass auf ihr, wie auf einer Säule, die ganze Welt ruht. „Wie köstlich ist deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben!" so sagt es ein Beter in Psalm 36. Wer in Güte handelt, der handelt so, wie Gott es mit den Menschen tut. Chesed kommt von innen und wird außen sichtbar in dem, was ich tue. An diesem Abend in Paris blitzte für mich etwas von liebevoller Zuwendung auf. Und das ist mein Wunsch für das neue Jahr: Ich hoffe: die Welt bekommt von dieser Güte viel zu sehen. Und: Mögen wir die Güte, die wir von Gott empfangen, nicht für uns behalten, sondern weitergeben. – Wo das geschieht, kann es auch in Strömen regnen.

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