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Die eine Hand
Pixabay/Sabine van Erp

Die eine Hand

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Sie sitzt aufrecht im Bett, als ich in ihr Zimmer komme. Es sieht aus, als habe sie schon auf mich gewartet. Sie begrüßt mich auch gleich fröhlich mit den Worten: Sie sind schon der Zweite, der mich heute besucht. Ich frage sie, ob ich mich ein wenig zu ihr setzen kann. Natürlich, sagt sie. Ich freue mich doch schon. Dann erzählen wir uns, wie das Leben so ist. Hier im Heim und draußen in der Stadt.

Ehemalige Nachbarn

Ich wohne nämlich nicht weit von ihrer ehemaligen Wohnung. Wir kennen uns ein bisschen. Ich weiß auch, warum bei ihr die vielen Bilder an der Wand hängen: Bilder von ihrem schon langen verstorbenen Mann, von ihrem Sohn und den zwei Enkelinnen. Alle auf den Bildern schauen milde und freundlich, als würden sie auf die alte Dame aufpassen.

Die alte Dame erzählt gerne aus ihrem Leben

Die erzählt gerne, wie alles so läuft in der Familie. Sie ist nicht so gerne hier im Heim, aber es ging nicht mehr anders. Erst hatte sie ihren Mann gepflegt, dann ließen ihre Kräfte einfach nach. Die Pflege war zu viel gewesen. Und sie erzählt mir dann wieder, dass sie eines Nachts daheim aufwachte - und plötzlich wusste: Es geht nicht mehr. Du musst ins Heim. Es war dann alles doch viel leichter, als sie gedacht hatte.

Worauf man im Leben nicht verzichten kann

Aber noch immer trauert sie ihrer Wohnung nach. Dann schweigt sie ein bisschen, lehnt sie sich ein wenig im Bett zurück wie entspannt, streicht über ihre Bettdecke, schaut auf das Bild ihres Sohnes und sagt zu mir: Wissen Sie, man kann im Leben auf vieles verzichten; aber nicht auf die eine Hand, die uns hält. Jetzt kommt ihre eine Hand aus der Decke. Ich fühle, was ich jetzt tun möchte. Ich nehme ihre Hand und drücke sie ein bisschen. Wie ein kleines Spiel ist das, aber sehr ernst.

Ein Zeichen des Himmels: Die eine Hand, die uns hält

Ich weiß, dass die Dame Recht hat. Die eine Hand ist der große Trost. Ganz gleich, wem sie gehört: der Schwester oder dem Nachbarn; der Pfarrerin oder den Enkeln. Auf die eine Hand kann man nicht verzichten. Man braucht sie, hält sie fest und wird gehalten. Als sei Gott ganz bei mir und hielte mich an meiner rechten Hand. Die eine Hand im Leben ist sein Zeichen des Himmels: Du bist nie alleine. Du gehörst mir.

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