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Wir leben vom Glanz
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Wir leben vom Glanz

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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„Denn wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz!“ In keiner anderen Zeit des Jahres wird der tiefere Sinn dieses Satzes so deutlich wie im Advent. In diesen dunklen Tagen brauchen wir den Glanz vieler Lichter, nicht um die Straßen zu beleuchten, sondern um das Gemüt zu erhellen. Kerzen taugen eher dazu, das Dunkel ertragbar zu machen, als dass sie zur Ausleuchtung beitragen. Der Wert des Kerzenlichts liegt also vielmehr im Glanz als in der Helligkeit.

Dem Glanz trotz den Sorgen und dem Elend und überstrahlt sie durch Hoffnung

Das empfand auch die Dichterin Hilde Domin so, als sie in einem ihrer Gedichte formulierte … denn wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz! Das Gedicht hat den Titel Die Heiligen*. Darin umschreibt sie, wie wichtig es ist, sich an etwas Heiligem festhalten zu können. Gemeint ist der Glaube an eine Größe, die das Hier und Jetzt übersteigt. Für Hilde Domin geht diese Dimension des Heiligen Hand in Hand mit dem Glanz. Er trotz den Sorgen und dem Elend und überstrahlt sie durch Hoffnung.

Eine Barockkirche erinnert an das Gedicht von Hilde Domin

Als ich mit einem Freund in Bayern eine Kirche aus der Zeit des Barocks besuchte, fühlte ich mich an die Zeile von Hilde Domin erinnert. Die Überfülle an Verzierungen in der Kirche überwältigte uns. An den Wänden und Decken reichliche Ornamente, überall strahlender Prunk in Gold und Silber – prächtige Altäre und Gemälde, Skulpturen aus Marmor, alles kostbar verziert.

Brot oder Glanz? Was ist wichtiger?

Wir diskutierten: Ist es richtig, dass damals so viel Geld benutzt wurde, um diesen himmlischen Glanz zu erzeugen? Wo die Menschen damals doch in großer Armut lebten und das Geld besser für Essen gebraucht hätten? Die Diskussion ist so alt wie die Kirche: Brot oder Glanz? Was ist wichtiger? Hilde Domin hat da eine klare Haltung: Ja, die Nahrung ist wichtig, um existieren zu können. Aber lebenswert wird das Dasein erst durch das, was Glanz in den Alltag bringt. Und deshalb sollten die Menschen, die diese Kirche betreten, sogleich erfasst werden von der Schönheit und Pracht. Sie symbolisiert die Herrlichkeit Gottes. Ein Vorgeschmack auf den Himmel; ein Versuch, die Hoffnung auf ein besseres Leben sinnlich zu erfassen. Wie armselig wäre die Welt, wenn wir nicht ab und zu in den Genuss solcher Pracht kämen.

Für die Dichterin gibt es einen triftigen Grund, an dieser Symbolik des Glanzes festzuhalten, und das sind die Kinder. Ihr Gedicht geht weiter, dort heißt es: „Wenn die Lichter angehn vor dem Gold, zerlaufen die Herzen der Kinder und beginnen zu leuchten vor den Altären.“

Das Wichtigste im Leben ist die Hoffnung

Das Wichtigste im Leben ist die Hoffnung. Allein der feste Glaube daran, dass Probleme gelöst und Nöte gelindert werden, dass Menschen sich ändern können und die Welt zu einer besseren machen, Konflikte begraben, Streit schlichten; allein das hält mich über Wasser, lässt mich nach vorne schauen. Das ist gemeint mit dem Glanz, von dem wir leben. Das ist auch der Glanz, der im Advent Häuser wie Herzen erhellt, denn wir essen das Brot, aber wir leben vom Glanz.

 

* Hilde Domin: Die Heiligen, In: Sämtliche Gedichte, S. Fischer Verlag Frankfurt am Main 2009.

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