Oma – warum sprichst Du so komisch?
Ich war vielleicht fünf Jahre alt und in diesem Moment und sehr verunsichert: Denn immer, wenn meine Großmutter mit ihrem Bruder sprach, klang das so ganz anders als sonst. „Also“, erklärte sie mir: „Das ist unser Heimatdialekt aus dem Sudetenland, aus dem Altvatergebirge, aus Niklasdorf. Da hat man so gesprochen.“ Für mich waren das damals ganz unbekannte Orte und ich konnte mir nicht vorstellen, was für eine Geschichte für einen Teil meiner Familie dahinter verborgen lag. Mittlerweile haben wir oft über die alte Heimat meiner Großmutter gesprochen, ganz besonders, als ihr jüngerer Bruder vor einigen Jahren verstarb.
Heimat ist Beziehung zwischen Mensch und Raum
Nun ist sie die einzige Verbliebene dieser Geschichte, von Vertreibung und dem Sudetenland in unserer Familie. Sie steht als Zeitzeugin für ein Schicksal, das Millionen Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg teilen mussten: den Verlust von Heimat! Sie ist jetzt 85 Jahre und war damals acht Jahre alt als sie und ihre Familie vertrieben wurden. Mit ihr, der letzten Generation der direkt Betroffenen, wird auch die letzte lebendige Erinnerung an diese alte Heimat sterben. Dann können nur noch Geschichtsbücher und Chroniken von Orten, Familien und dem alten Dialekt erzählen. Mein Bruder und ich, lange nach all den Ereignissen geboren, haben die Orte der Familie im letzten Spätsommer besucht. Wir waren in der Taufkirche, vor dem alten KuK-Schulgebäude und auch vor dem alten Haus, in dem meine Oma aufgewachsen ist: Es hatte sogar dieselbe Hausnummer wie damals und so konnten wir es leicht finden.
Auch wenn wir diese Orte niemals zuvor gesehen hatten, spürten wir eine geschichtliche, familiäre Bindung. Wir stellten uns vor, wie unsere Vorfahren hier gelebt hatten und gingen dieselben Wege und Straßen entlang.
Heimat ist auch innere Haltung und Gefühl
Und so wurde es auch eine emotionale Reise zu den Wurzeln meiner eigenen Herkunft und Familie. Spannend war für mich dabei besonders, dass meine Großmutter nie im Groll zurückschaute und schon gar nicht dorthin zurückwollte. Für sie war Heimat immer dort, wo ihre Familie war und das war dann eben nicht mehr Niklasdorf. „Wir haben nur unser Haus und das gewohnte Umfeld verloren, aber nicht unsere Familie. Das war immer das Wichtigste“, sagt sie. Und so bleibt die einzig wirklich schmerzhafte Verbindung zum alten Haus, dass es der Ort war, wo sie ihren älteren, damals erst 17-jährigen Bruder in den Krieg verabschieden musste, aus dem er nicht mehr heimkehrte. Das Haus vermisst sie nicht, ihn aber schon. Der oft so gehörte Satz: „Heimat ist kein Ort“, bekommt hier Konkretion und Lebendigkeit und auch eine Tiefe, die mich wirklich fasziniert und bewegt. Und in den Erzählungen fiel mir noch etwas auf.
Gott ist Heimat: immer und überall
Trotz dem vielfältigen, schmerzhaften Verlust war immer klar, dass neben der Familie auch der Glaube an Gott bleibende Heimat bot. Trotz aller dramatischen Veränderungen ging der Glaube mit und half auch in der neuen Heimat Wurzeln schlagen. Auch als Kommunikationsort bot der Glaube eine Brücke zwischen neuer und alter Heimat, in der Gott doch der gleiche war und die Hoffnung auf Erlösung und Heil keine andere. Auch deswegen konnte meine Großmutter mit ihrer Familie in ihrem neuen Leben ankommen, weil Heimat nicht einfach weg war, sondern in entscheidenden Punkten mitgenommen werden konnte.
Das wirft für mich einen überzeugenden Fokus auf jene Bibelstellen, in denen Gott als der eigentliche Ort von Heimat und Angekommensein charakterisiert wird: „Ja, Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang / und heimkehren werde ich ins Haus des HERRN für lange Zeiten.“, wie es in Psalm 23 heißt. In Gott haben wir unsere einzige und eigentliche Heimat, die wir suchen müssen und in der all das, was uns wichtig ist, aufgehoben sein wird: unsere Familie, unsere Beziehungen und unsere Geschichte. In Buch Micha finde ich dazu eine ebenso passende Perspektive: „Denn von Zion zieht Weisung aus / und das Wort des HERRN von Jerusalem. Er wird Recht schaffen zwischen vielen Völkern / und mächtige Nationen zurechtweisen bis in die Ferne. Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden / und ihre Lanzen zu Winzermessern. Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation, / und sie erlernen nicht mehr den Krieg. Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock / und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf.“
Niemand wird aufgeschreckt und vertrieben werden, denn wir alle sind dann im Hause des Vaters angekommen – und haben dann endgültige Heimat gefunden.