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Fäden wiederaufnehmen
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Fäden wiederaufnehmen

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Katholische Studienleiterin an der Akademie des Bistums Mainz in Darmstadt
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Vor kurzem habe ich ein Interview mit Barbara Bleisch gehört, einer Schweizer Philosophin und Journalistin. In dem Interview hat sie ihr Buch „Mitte des Lebens“ vorgestellt. Darin geht es um die Lebensphase etwa zwischen dem 35. und dem 60. Geburtstag, also die Zeit, wenn man nicht mehr jung ist, aber auch noch nicht alt. Barbara Bleisch beschreibt, was diesen Lebensabschnitt so besonders macht, und sie ist der Meinung: Das sind die besten Jahre des Lebens! 

Manche Pläne musste ich aufgeben 

Ich stehe selbst in der Mitte des Lebens, und vieles, was Barbara Bleisch beschreibt, entspricht dem, wie ich diese Zeit erlebe: Einerseits liegt ein gutes Stück des Lebens hinter mir, viele wichtige Entscheidungen sind getroffen: welchen Beruf ich ergreife, ob ich eine Familie gründe. Manche Pläne habe ich aufgeben müssen. Aber andererseits bin ich keine Anfängerin mehr, ich habe einen reichen Erfahrungsschatz, aus dem ich schöpfen kann; dass manche Grundentscheidung getroffen ist, schafft Freiraum, ist entlastend. Und zugleich kann ich noch auf eine längere Lebenszeit hoffen, die ich gestalten kann mit der Erfahrung im Hintergrund, was sich in meinem Leben bisher als wertvoll und tragfähig erwiesen hat – und wovon ich mich vielleicht verabschieden will. 

Weil es sich irgendwie nicht ergeben hat

Ein Gedanke von Barbara Bleisch hat mich besonders angesprochen: In dem Interview erzählt sie davon, dass die Mitte des Lebens auch die Zeit sein kann, Fäden wiederaufzunehmen. Mit Fäden meint sie: Pläne, Ideen, Fähigkeiten aus jungen Jahren, vielleicht auch Kontakte, Beziehungen, die unter die Räder des Lebens gekommen sind: weil anderes Drängender wurde, weil die Zeit fehlte, vielleicht auch der Mut oder die Ermutigung, oder einfach: weil es sich irgendwie nicht ergeben hat. 

Aber trotzdem habe ich ganz viel Freude damit

So ein Faden, den ich in den letzten Jahren wiederaufgenommen habe, ist für mich das Querflötespielen. Als Schülerinnen hatte ich mehrere Jahre Unterricht, besonders gut war ich nie. Nach der Schule habe ich aufgehört zu spielen, weil ich im Studium und später keine Zeit mehr hatte, vielleicht auch weil ich gemerkt habe: Ich bin nicht besonders begabt, es wird wahrscheinlich nicht einmal für ein besseres Laienorchester reichen wird. Vor ein paar Jahren habe ich wieder Lust bekommen zu spielen, habe mir eine Lehrerin gesucht und nehme jetzt wieder regelmäßig Unterricht. Und das mache ich einfach so, nur für mich. Ich verfolge kein besonderes Ziel damit, habe keinen großen Ehrgeiz. Ich weiß, dass meine Fähigkeiten begrenzt sind. Aber trotzdem habe ich ganz viel Freude mit meiner Querflöte.

Genau hinschauen, worauf ich mein Leben ausrichten will, mich frei machen von Einstellungen, von Erwartungen, Fäden wiederaufnehmen. In der Mitte des Lebens kann die Zeit dafür sein. Und vielleicht sogar nicht nur dann.   

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