Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Schritt für Schritt
Bild: B. Hirt

Schritt für Schritt

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Katholische Studienleiterin an der Akademie des Bistums Mainz in Darmstadt
Beitrag anhören:

Eine meiner liebsten Figuren in der Literatur ist Beppo Straßenkehrer, der Freund der kleinen Momo aus dem gleichnamigen Buch von Michael Ende. An Beppo Straßenkehrer denke ich immer, wenn ich das Gefühl habe: Es ist alles viel zu viel, ich schaffe es nicht. Wenn ich bei der Arbeit vor einer komplizierten Aufgabe stehe und keine Lösung sehe; wenn ich meine, ich verliere den Überblick über die vielen Dinge, die im Beruf und zu Hause erledigt werden müssen, oder wenn es mir so vorkommt: die Zeit reicht bestimmt nicht, um alles zu schaffen, und auch die Kraft geht mir aus. 

Man hat gar nicht gemerkt "wie"

Dann denke ich an Beppo Straßenkehrer, der seiner Freundin Momo erklärt, wie es geht: eine ganze Straße zu kehren. „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken“, sagt er. Und: „Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten“. Und schließlich: „Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste“.  

Das schaffe ich nie!

Ich finde, das ist ein wunderbares Rezept: Nicht auf die ganze Straße schauen, sondern nur auf den nächsten Schritt, den nächsten Besenstrich. Und ich habe schon oft die Erfahrung gemacht: Es wirkt! Wenn ich auf die ganze komplizierte Aufgabe schaue oder auf die vielen unerledigten Dinge – dann lähmt mich das, das gibt mir das Gefühl: Das schaffe ich nie. Aber auf den nächsten Schritt zu schauen, auf das, was machbar ist, was ich gut bewältigen kann, das hilft mir, und ich kann dann die Dinge angehen und sie Stück für Stück abarbeiten. Und wie Beppo sagt: Mit jedem Schritt, mit jedem Besenschritt, rückt das das Ziel näher. Am Ende ist die ganze Straße gekehrt, ist die Aufgabe bewältigt, sind die unerledigten Dinge getan. 

Nicht mit einem Schlag

Fast kommt es mir so vor, dass Gott es ähnlich gemacht hat: Die Schöpfungsgeschichte am Beginn der Bibel erzählt, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat. Nicht mit einem Schlag, nicht mit einem großen, machtvollen Kraftakt, sondern: Tag für Tag, Schritt für Schritt. Zuerst schuf er Licht und Finsternis, dann das Land und das Meer, dann folgen die Pflanzen, verschiedene Arten von Tieren und schließlich die Menschen. 

Dann macht es Freude

Beppo Straßenkehrer und der liebe Gott, beide vermitteln mir: Du musst nicht alles auf einmal schaffen. Es genügt, Stück für Stück, Schritt für Schritt voranzugehen, so viel zu kannst. Und Beppo Straßenkehrer fügt auch noch hinzu: „Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut“. Und auch Gott scheint sich nicht zu grämen, dass es schrittweise vorangeht mit seiner Schöpfung: In der Schöpfungserzählung heißt es am Ende eines jeden Schöpfungstages: Gott sah, dass es gut war. (vgl. Genesis 1,12)

 

 

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren