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Gemeinsam singen
Bild: FatCamera_GettyImages

Gemeinsam singen

Dr. Susanne Nordhofen
Ein Beitrag von Dr. Susanne Nordhofen, Ehemalige Leiterin eines katholischen Gymnasiums in Königstein/Taunus
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Ein Bekannter von uns ist in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Er hatte familiär keinen Bezug zum Christentum und hat es sich nach der Wende erst langsam erschlossen. Schließlich hat er sich taufen lassen und ist katholisch geworden. Irgendwann danach ist er nach Venedig gereist. Mit großen inneren Erwartungen hat er sich in den imposanten Markusdom gesetzt, um den Osternachtsgottesdienst mitzufeiern. In Italien, dem Land Pergolesis, Monteverdis und Vivaldis müsste es zu diesem höchsten Fest der Christenheit doch eine erhebende Kirchenmusik mit wunderbaren Chören und Orchestern geben, dachte er sich. Fehlanzeige: Es erschien ein einzelner Priester, zog die Klampfe raus und intonierte fromme Schlager, wie man sie allenthalben in italienischen Kirchen hören kann. Nur wenige Gläubige stimmten leise ein. Diese schlichten süßlichen Weisen sind nach meinem Empfinden wirklich nichts, was den Gottesdienst in einer Gemeinde zusammenhalten kann. Und auch unser Bekannter ist damals ziemlich enttäuscht gewesen und hat schnell das Weite gesucht. 

Wer singt, betet doppelt

Der Gemeindegesang, wie ich ihn in meiner katholischen Kirche in Deutschland kenne und liebe, hat in Italien keine Tradition. Wir verdanken ihn hierzulande vor allem Martin Luther, Paul Gerhardt und Johann Sebastian Bach. „Wer singt, betet doppelt.“ Der Satz wird dem heiligen Augustinus zugeschrieben. Ich finde, da ist was Wahres dran. Denn es macht einen Unterschied, ob ich einen Text nur spreche oder ob ich ihn als Lied singe. Beim Singen ist der ganze Leib noch mehr ergriffen. In dem Wort „spirituell“ steckt ja auch das Wort spiritus, Atem, Hauch, Geist. Wenn eine Gemeinde singt, atmen alle Singenden gemeinsam und verbinden sich in diesem Augenblick miteinander. Und so stellt sich jeder einzelne Singende, aber auch die singende Gemeinde als Ganze vor Gott. Ich glaube, der große Reformator, der selbst sehr musikalisch gewesen ist, hat genau diesen geistlichen Effekt im Sinn gehabt. Sein berühmtes Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ ist quasi das musikalische Bekenntnis zur Reformation.

Unvergesslich: der Klang der 100 Bläser zur Beerdigung meines Großvaters

Mein evangelischer Großvater hat viele Jahrzehnte die sogenannte „Posaunenmission“ der Nordelbischen Kirche geleitet. Er hat selbst Flügelhorn gespielt und ist durch Norddeutschland gefahren, um in den Gemeinden Posaunenchöre zusammenzustellen. Das war nicht einfach, denn es mussten auch Instrumente und Notenmaterial her, und das war damals knapp. Viele junge Leute auf dem Land bekamen so die Möglichkeit, ein Instrument zu erlernen und mit anderen zusammen zu musizieren. Entscheidend war die Grundidee der Posaunenmission: Die Kirchenlieder und Choräle sollten Menschen über die Musik zu Gott hinführen, sie trösten und wieder aufrichten. Als mein Großvater starb, kam ein großes Ensemble von über hundert Bläsern zusammen und hat auf seiner Beerdigung die Lieder begleitet, die von der Trauergemeinde angestimmt wurden. Diesen unbeschreiblichen Klang habe ich nie vergessen.

Die Gesangbücher beider Konfessionen haben jetzt viele Lieder gemeinsam

Und deswegen freue ich mich am heutigen Reformationstag besonders darüber, dass die Gesangbücher beider Konfessionen so viele Lieder gemeinsam haben. Gemeinsam mit vielen Menschen musizieren: Das ist wirklich ein großes Glück, finde ich.

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