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Sigrid zieht weg
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Sigrid zieht weg

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Theologischer Referent der Stellvertretenden Kirchenpräsidentin der EKHN
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Ein Sprichwort sagt: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Da ist etwas Wahres dran. Aber manchmal muss es sein. Wie bei unserer Nachbarin, die ich hier Sigrid nenne, und die direkt unter uns wohnt. Sie ist 82 Jahre alt. Vor ein paar Tagen haben wir erfahren: Am Sonntag zieht sie aus. Ins betreute Wohnen, nach Freiburg. Da lebt eine ihrer Töchter. Sigrid selbst hat über 50 Jahre hier in diesem Haus in Frankfurt gewohnt.

Ein neues Leben nach der Trauer

Mit ihrem Mann war sie damals hierhergezogen. Sie gehört zur ersten Generation, die dieses Haus bezogen hat.

Ihr Mann ist schon lange gestorben. Nach der Trauer hat sich Sigrid ganz gut gefangen. Hat ehrenamtlich in der Bücherei gearbeitet. Im Kirchenchor gesungen. Und da ist Jessy, ihre Hündin. Mehrmals täglich hat man die beiden zusammen auf der Straße gesehen. Die Kinder aus dem Haus waren gerne dabei und haben beim Gassigehen geholfen.

Alleine geht es nicht mehr

Aber vor zwei Jahren hat sich plötzlich vieles für Sigrid geändert. Sie konnte noch bei einer Nachbarin klingeln. Die erkennt sofort: Schlaganfall! In der Reha hat sich Sigrid erholt. Dennoch hat der Schlaganfall Spuren hinterlassen. Das Leben ist beschwerlich geworden. Deshalb hat sie entschieden: „Ich kann und will nicht mehr alleine hier wohnen.“

Ein neuer Ort

Für viele ältere Menschen ist nicht einfach, die vertraute Umgebung zu verlassen. Da sind so viele Erinnerungen. Und es fällt zunehmend schwer, sich auf eine neue Umgebung und andere Menschen einzulassen.

Mut macht da ein Satz von Jesus. Er hat gesagt: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Habt keine Angst. Ich gehe hin, euch einen guten Ort zu bereiten.“

Jesus hat das gesagt, als er von seinen Jüngerinnen und Jüngern Abschied genommen hat. Er wusste, er würde bald sterben. Aber er war sicher: Im Himmel bei Gott findet er ein neues Zuhause. Mit dieser Hoffnung wollte er auch seine Freunde trösten.

Ich glaube, die Worte von Jesus gelten aber nicht nur für die Wohnung im Himmel, an die viele Christen glauben. Sondern auch hier auf der Erde, wenn Menschen umziehen und an einem anderen Ort weiterleben. Dann verstehe ich die Worte von Jesus so: Wenn du weiterziehst, ich gehe mit dir. Wo du auch hinziehst: Gott ist schon da. Und es gibt liebe Menschen, die es gut mit dir meinen und alles vorbereitet haben.

Den Abschied gut gestalten

Das gilt auch für Sigrid. Ihre Tochter in Freiburg erwartet sie schon und freut sich.  

Wir Nachbarn verabschieden sie schweren Herzens. Dazu geben wir Sigrid ein paar Geschenke mit. Einen Kalender mit Bildern aus Frankfurt. Und einen Schutzengel. Der sitzt dann bestimmt in Sigrids Zimmer im Regal. Damit ist die Traurigkeit nicht einfach weg. Die Unsicherheit. Die Wehmut. Aber der Schutzengel zeigt: Gott ist hier mit dir. Das kann helfen, diesen Übergang zu gestalten. Und gut anzukommen im neuen Zuhause.

Dann kann sogar gelingen, dass ein alter Baum Wurzeln schlagen kann an einem neuen Ort.

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