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In der Mitte des Lebens
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In der Mitte des Lebens

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Theologischer Referent der Stellvertretenden Kirchenpräsidentin der EKHN
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Es ist 7 Uhr am Morgen. Ich habe Geburtstag! Meine Frau und unser Sohn singen mir ein Ständchen „Viel Glück und viel Segen auf all deinen Wegen“. Und geleiten mich zum Frühstückstisch. Wie schön der aussieht! Blumen, verpackte Geschenke. Daneben steht ein selbstgebackener Kuchen. Zwei Zahlenkerzen sind angezündet: eine vier und eine fünf. Meine Frau sagt: „Freu dich, jetzt bist du nochmal 45.“ Wir drei lachen. Da hat sie mich absichtlich jünger gemacht, durch einen einfachen Zahlendreher.

Eine Philosophie der besten Jahre

Auch die Philosophin Barbara Bleich hat, wie ich, die 50 überschritten. Und hat ähnliche Szenen schon bei ihren Geburtstagen erlebt. Kleine Witze, die aber ein Unwohlsein ausdrücken über das voranschreitende Alter. Das hat Barbara Bleich motiviert, ein Buch zu schreiben über die Zeit zwischen 35 und 65 Jahren. Es heißt: „Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre.“[1]

Sie stellt fest: Viele Menschen in der Lebensmitte wirken nicht glücklich. Sie sind ständig gestresst mit Beruf und Familie.

Die Fragen der Lebensmitte

Manche geraten ins Grübeln. Sie schauen auf ihr Leben zurück und stellen fest: Ich habe alle Ziele verwirklicht, die ich mir vorgenommen hatte. Was soll da noch kommen?

Andere blicken zurück und meinen, ihre Träume und Ziele nicht erreicht zu haben. Und werden darüber traurig oder wütend. Sie fragen sich: Wie viel Zeit bleibt mir noch für meine Pläne?

Existenzerhellung

Wer sich diese Fragen stellt, macht sich die eigene Endlichkeit bewusst – vielleicht zum ersten Mal. Und das tut weh. Doch genau hierin sieht Barbara Bleich Chancen: Ich kann auf mein Leben schauen und darüber nachdenken, worum es in meinem Leben eigentlich geht. Denn glücklich bin ich nicht nur, wenn alles gut läuft. Glücklich kann ich auch sein, wenn ich die Fülle des Lebens feiere. Dazu gehören auch Scheitern und Enttäuschungen. Und Bedauern über nicht erreichte Ziele. Sich das immer mal wieder bewusst zu machen, nennt die Philosophin Barbara Bleich „Existenzerhellung“.

Diese Gedanken finde ich hilfreich – für meine Mitte des Lebens. Ich glaube fest: Gott hat mir dieses Leben geschenkt. So schaue ich darauf: Dankbar. Für das, was ich schon geschafft habe. Für die wichtigen Menschen in meinem Leben. Und für manches Schwere, das sich im Rückblick vielleicht sogar als Segen entpuppt hat.

Glanzvoll nach vorne blicken

Um darüber nachzudenken, brauche ich Zeit. Die will ich mir nehmen. Und viel mehr „Momente des Glanzes“ kultivieren, wie Barbara Bleich sie nennt. Momente, von denen ich lange zehren kann. Ein schönes Konzert. Oder lange quatschen mit Freunden bei einem Glas Wein. Über Gott und die Welt philosophieren. So kann ich mir selbst auf den Grund gehen und mich besser kennenlernen. Ohne darüber unglücklich zu werden.

Ja, ich werde älter. Aber das ist kein Grund für verschämte Witze und Unwohlsein. Im Gegenteil: Ich blicke nach vorne. Auch wenn ich schon viele meiner Ziele erreicht habe: Ich bin gewiss, dass Gott noch mehr mit mir vorhat. 

 


[1] Barbara Bleich, Die Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre, München 2024.

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