Jom Kippur
Heute begehen Jüdinnen und Juden in aller Welt ihren höchsten Feiertag: Jom Kippur, den Tag der Versöhnung. Es geht darum, sein Leben ins Reine zu bringen mit Gott, aber auch mit seinen Mitmenschen.
10 Tage, um sein Leben zum Guten zu wenden
Jom Kippur ist zeitlich an das jüdische Neujahrsfest gebunden. Von da an haben die Gläubigen 10 Tage Zeit, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Sich mit denen auszusöhnen, mit denen man im Streit liegt. Auch Unklarheiten zu bereinigen und schwelenden Groll auszuräumen. Um Verzeihung bitten. Und das persönlich. Es reicht nicht nur eine SMS oder WhatsApp zu schicken mit: Tut mir leid! –10 Tage, um sein Leben zum Guten zu wenden.
Den Sündenbock in die Wüste schicken
Am Ende dieser Tage, wenn die gläubigen Juden sich mit anderen versöhnt haben, feiern sie einen Gottesdienst. Hier wird ihre Schuld nochmal vor Gott benannt und auch er wird um Vergebung gebeten. Früher wurde mit einer Zeichenhandlung anschaulich gemacht, dass Gott die Sünden wegnimmt und den Menschen von dieser Last befreit. Der Priester bürdete die ganze Sündenlast des Volkes einem Ziegenbock auf. Der wurde dann in der Wüste über die steilen Klippen eines Berghanges in den Tod getrieben. Das ist der bei uns zur Redewendung gewordene Sündenbock.
Ohne Reue keine Vergebung
Wenn wir allerdings heute jemanden zum Sündenbock machen, dann gehen wir anders vor: Die Verantwortlichen entziehen sich, schieben einer anderen Person die ganze Schuld in die Schuhe und prangern sie öffentlich an. Da gibt es bei den tatsächlich Schuldigen keine Einsicht. Von Reue keine Spur. An Jom Kippur ist es aber ein unverzichtbarer Bestandteil des Rituals: Eigene Schuld bereuen und öffentlich bekennen. Ohne Reue keine Vergebung.
Das ist gar nicht einfach, denn niemand will gerne schuldig sein. Schuld sind immer die anderen. Oder es waren die Umstände, der Zeitdruck oder man wusste es nicht besser. Schuld einzugestehen und um Vergebung zu bitten ist schwer.
Die Bitte um Vergebung kann Dinge in Bewegung bringen
Aber wie befreit fühle ich mich, wenn ich sage: Das habe ich falsch gemacht. Es tut mir leid. Vergib mir. Nur so komme ich wieder mit dem Betreffenden ins Gespräch. Damit ist zwar noch nicht alles gut. Aber ein erster Schritt ist getan. Im persönlichen Miteinander, aber auch auf größerer Ebene bringt die Bitte um Vergebung Dinge in Bewegung. Zum Beispiel läutete der Kniefall von Willy Brandt in Warschau vor den Opfern des Naziterrors eine neue Ära der Ostpolitik ein.
Jom Kippur erinnert auch mich als Christin daran: Fehler eingestehen, bereuen und Verantwortung übernehmen und nicht andere zum Sündenbock machen. Das bringt unser Leben im Großen wie im Kleinen ins Reine - mit unseren Mitmenschen und mit Gott.