Großwerden
Zu Beginn eines jeden Schuljahres stelle ich auf einem Kennenlern-Arbeitsblatt meinen Schülerinnen und Schüler unter anderem die Frage nach ihren Berufswünschen. Die Antworten sind so unterschiedlich und vielseitig. Vom Baggerfahrer bis hin zum Tierarzt, vom Lokführer bis hin zum Mathelehrer ist alles dabei. Insgeheim denke ich aber: „Was wohl tatsächlich mal aus jedem Einzelnen von euch wird?“ Ich selbst wollte immer Erzieherin oder Kinderkrankenschwester werden. Doch letztlich kam es dann doch anders.
Besonders beeindruckt mich ein Junge, welcher als Inklusionskind trotz der Einschränkung durch eine leichte geistige Behinderung an meinem Unterricht teilnimmt. Dieser Junge, der so viel Wärme und Herzlichkeit ausstrahlt, gibt auf die Frage „Was er mal werden will“ schlicht und ergreifend die Antwort „Groß! Groß will ich werden!“. Einige Kinder aus der Lerngruppe lachen und amüsierten sich über diese Aussage.
Großwerden, wachsen, dienen – dazu hat uns Gott berufen
Und obwohl es kein klassischer Beruf ist, um den es mir in meiner Aufgabenstellung an die Kinder ging, berührte mich sein Wunsch zutiefst. Es geht dem Jungen weder um den besten Schulabschluss noch um eine möglichst hohe Gehaltsklasse. Für ihn steht im Fokus, sich weiterzuentwickeln, zu wachsen und eben größer zu werden.
Groß sein kann Unterschiedliches heißen. Es geht weniger um die Körpergröße. In meinen Augen spielt hier der gegenseitige Umgang miteinander eine viel größere Rolle. Ich kann auch als kleiner Mensch groß sein, zum Beispiel, indem ich mich bei jemandem entschuldige. Da geht es um die innere Größe. Sicher zählt es auch zum „groß“ sein dazu, einen begangenen Fehler einzugestehen. Für Gerechtigkeit zu sorgen. Meinem Gegenüber dienend zu begegnen.
Gottes Maßstäbe an uns als Menschen, als seine Geschöpfe sind beeindruckend und ganz anders als die, die wir vorerst vermuten. Die Haltung, die wir dabei stets innehaben sollten, ist die eines Dieners. Im Matthäusevangelium heißt es: „Wenn unter euch jemand groß sein will, wird er euer Diener sein.“ Es geht bei Gott weder um Hierarchie noch um ein Ober - oder Unterverhältnis. Nein. Er fordert jeden einzelnen Menschen immer wieder dazu auf, groß zu sein, indem wir für andere Gutes tun. Für meine Mitmenschen da sein, ihnen mit all dem, was mir selbst an Talenten geschenkt wurde, zu dienen.
Nachdem wir die Bibelstelle aus dem Neuen Testament besprochen hatten, ergänzten auch einige andere Kinder auf ihren Arbeitsblättern in dem Satz „Was ich mal werden will, die Antwort groß“. Ich wünsche schon jetzt all den Kindern, die in die Schule gekommen sind und auch denen, die schon lange der Schulalltag prägt, die Freude daran groß zu werden und für andere groß zu sein.