Was magst du an dir selbst?
„Was magst du an dir selbst?“ - Donnerstagmorgen 1. Stunde Religionsunterricht. Diese Frage, die mir das Mädchen aus meiner 3. Klasse stellt, bringt mich aus meinem Konzept. Ich überlege. Unmittelbar fragt sie mich ein zweites Mal. Dieses Mal bestimmter. Ich lächle und schaue flüchtig in den Spiegel, der über dem Waschbecken im Klassenzimmer hängt. Ich antworte kurz und knapp: Ich glaube, heute mag ich meine Haare an mir, denn ich war erst gestern beim Friseur. Das Kind geht auf den Platz zurück und scheint zufrieden. Wieso die Schülerin auf diese ungewöhnliche Frage gekommen ist, fällt mir erst später auf.
Seit kurzer Zeit haben wir im Unterricht das Thema Nächstenliebe und sprechen hier unter anderem über das Doppelgebot der Liebe. Es heißt ja im Markusevangelium in Kapitel 12: In jener Zeit ging ein Schriftgelehrter zu Jesus hin und fragte ihn: Welches Gebot ist das erste von allen? Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deinen Gedanken und all deiner Kraft. Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden. Diese Bibelstelle mit Kindern zu besprechen, ist gar nicht so einfach. Einige Schülerinnen und Schüler wirkten ganz überrascht, dass diese beiden Gebote von Jesus als die beiden wichtigsten bestimmt worden waren. Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit allen Gedanken und aller Kraft zu lieben, klingt für die Kinder meiner Religionsgruppe ziemlich herausfordernd. Zumal die Mädchen und Jungen, die ich unterrichte, kaum noch christlich erzogen werden bzw. kaum noch Berührungspunkte haben.
Der zweite Teil des Doppelgebotes scheint nachvollziehbarer und löst etwas ihn ihnen aus. Wir stellen uns im Unterricht die Frage, wer mir in meinem Leben als Nächster begegnet. Im zweiten Schritt ist der Blick auf mich selbst gerichtet. Wie kann ich mir selbst etwas Gutes tun? Mich sogar lieben. In der Konsequenz ist es mein Auftrag, meinem Gegenüber ebenso diese Liebe zu schenken. Doch die konkrete Umsetzung dieses Gebotes beginnt wie in so vielen Bereichen im Leben bei mir selbst. Zurück zu der Frage, die mir meine Schülerin so ganz nebenbei gestellt hat:
Mag ich mich selbst? Und wenn ja, was ist an mir schön und liebenswert?
„Was magst du an dir selbst?“ Diese Frage der 9-Jährigen eignet sich hervorragend als Einstieg, um das Doppelgebot der Liebe von Jesus in die Tat umzusetzen. Um einerseits nach mir zu schauen, um aber auch im Umkehrschluss das Kostbare an meinen Mitmenschen zu entdecken. Na, dann wollen wir mal, denke ich mir und stelle mich vor unseren Ganzkörperspiegel im Flur. Gibt es da vielleicht noch mehr als die frischfrisierten Haare? Ich nehme mir bewusst ein paar Minuten in meiner Mittagspause und stelle nach und nach immer mehr Dinge an mir fest, die ich gerne mag. Äußerlich – wie innerlich. Dinge - die sicher nicht perfekt sind, aber die zu mir gehören. Die mich zu dem machen, was ich bin. Und gerne bin.
Die Haustür öffnet sich und mein Mann kommt von der Arbeit und alles, was er sagt, ist: „Na, du strahlst ja heute über das ganze Gesicht. Woran hast du gerade gedacht?“ Ich lächle und antworte selbstbewusst und mit der Gewissheit, dass ich ein von Gott geliebter Mensch bin: „Ich freue mich, dass ich mich so mag, wie ich bin.“