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Der Zaubertrank
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Der Zaubertrank

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Theologischer Referent der Stellvertretenden Kirchenpräsidentin der EKHN
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Die Schlagzeilen zeigen mir jeden Tag: Eine Krise überlagert die nächste. Konflikte und Kriege in vielen Teilen der Welt. Lösungen sind nicht in Sicht. Ich finde das belastend. Ich merke, wie ich einen pessimistischen Blick auf die Welt und mein Leben entwickele. Und selbst wenn ich meinen kleinen Teil beitrage, wie etwa bei der Klimakrise, denke ich: Ich kann wenig ändern.

Optimistisch werden durch unsere eigenen Kraftquellen

Der Journalist und Kabarettist Philipp Kauthe hat sich lange mit der Frage beschäftigt: Wie kann ich optimistischer werden? Er meint: Optimistisch sein heißt nicht, jeden Tag nur gutgelaunt durch die Welt zu spazieren oder das Schlechte zu übersehen. Optimistisch werden wir, wenn wir mit unseren eigenen Kraftquellen in Verbindung bleiben. Dabei hilft, wenn wir unsere Fantasie stärken. Denn je kreativer wir sind, desto eher gewinnen wir einen neuen, optimistischen Blick auf den Alltag.

Den ersten Kaffee am Morgen in einen Zaubertrank verwandeln

In einem Interview hat Philipp Kauthe von einer hilfreichen Übung erzählt. Es ist früh am Morgen. Der erste Kaffee dampft in der Tasse. Und verwandelt sich in einen „Zaubertrank“. Nicht weil der Kaffee besonders stark wäre. Sondern: Philipp Kauthe denkt bei jedem Schluck intensiv an etwas, das gut läuft oder worauf er sich an diesem Tag freut.

Bewußt an die positiven Dinge des Tages denken

Ich habe die Übung gestern ausprobiert. Ich trinke den ersten Schluck. Und denke an meinen Sohn. Jetzt schläft er noch. Aber gleich wird er aufwachen. Seine ausgeglichene Art verbreiten. Ich danke dabei meinem Schöpfer, dass mein Sohn seine ruhige Art wohl von seiner Mutter geerbt hat.

Der zweite Schluck gehört meiner Arbeit als Gemeindepfarrer, die mir einen Sinn gibt. Ich denke an die Beerdigung, die heute ansteht. Die wird nicht einfach, aber es erfüllt mich, Menschen bei solch einem Abschied zu begleiten. Danke, Gott, geht es mir durch den Kopf. So eine Arbeit hat nicht jeder.

Die Kraftquelle Gott

Ich merke: Der Zaubertrank hilft mir. Ich fühle mich mit meiner Kraftquelle verbunden. Diese Kraftquelle ist für mich Gott. Der mir vieles im Leben schenkt, was mir manchmal selbstverständlich erscheint, aber ein großes Geschenk ist. Der Zaubertrank regt mich an, mich immer mal wieder selbst zu fragen: Worüber kann ich in meinem Leben staunen, trotz aller Krisen? Und worauf richte ich meine Dankbarkeit? Ich gehe achtsamer und aufmerksamer durch den Tag.

Als ich gerade dabei bin, die Gedanken für meinen nächsten Schluck Kaffee zu sammeln, steht mein Sohn in der Küche. Gar nicht ruhig und ausgeglichen sagt er halblaut: „Papa, ich krieg die Krise! Das Frühstück ist ja noch nicht fertig. Ich habe Hunger. Ich hab‘ seit gestern Abend nichts mehr gegessen.“

Den kleinen und großen Krisen des Tages kreativ begegnen

Ja dann! Ich nehme mir vor, sein Frühstücksbrot heute besonders achtsam und dekorativ mit seinem Lieblingskäse zu belegen. Gestärkt mit wenigstens einer halben Tasse Zaubertrank will ich den kleinen und großen Krisen dieses Tages kreativ begegnen.

Das meint Philipp Kauthe wohl, wenn er sagt: „Durch Optimismus werden die Probleme nicht kleiner. Aber wir werden größer!“[1]

 


[1] Philipp Kauthe, Die Welt ist so schön. Das kleine Buch der liebevollen Achtsamkeit, Goldegg-Verlag 2022, Seite 6.

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