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Klarsehen
Bild: pexels / Tima Miroshnichenko

Klarsehen

Ralf Ruckert
Ein Beitrag von Ralf Ruckert, Evangelischer Pfarrer, Lahntal
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Die Glasfront vom Gemeindehaus ist schon ewig nicht mehr geputzt worden.

Wenn die Sonne drauf scheint, sieht man es deutlich: staubige Schlieren.

Der Hausmeisterdienst war eine Weile vakant. Die Stunden reichen ohnehin nur für das Notwendigste. Extras wie Fensterputzen bleiben auf der Stecke.

„Kann ich dir helfen?“

„Kann ich dir helfen?“ fragt eine geflüchtete Frau. Sie bekommt hier Deutschunterricht. Ihr Mann ist mit einem ausländischen Regime in Konflikt geraten. Jetzt ist auch sie hier. Sie erfährt Rat und Hilfe und will etwas zurückgeben.

Viele Geflüchtete kommen gern zu uns. Hört man sich ihre Geschichten an, kann es einem heiß und kalt werden. Da sind nächtliche Überfälle durch – je nach Land – Polizei oder Terroristen. Da ist Seenot, Verlust von geliebten Menschen und materiellen Werten… da ist Heimweh.

Manchmal vergesse ich: Viele von ihnen hatten einen normalen Alltag, bevor der Krieg kam oder die Taliban oder was es auch war. Sie hatten Jobs, manchmal Eigentumswohnungen, sind Auto gefahren.

„Ich putze deine Scheiben“

„Ich putze deine Scheiben“ – sagt sie. Offenbar haben sie also auch wie ganz normale Leute Scheiben geputzt.

Aber Ob sie das auch vernünftig hinbekommt, frage ich mich. Entschuldigung. Alltagsrassismus? Ich will nicht behaupten, dass ich dagegen gefeit bin. Aber ich war halt auch nicht immer glücklich, wenn mir Geflüchtete beim Saubermachen geholfen haben. Manchmal haben wir nicht dieselben Vorstellungen davon. Manchmal fehlen schlicht Kenntnisse, weil es vielleicht in der Heimat mehr Teppich gab als Parkett oder die Toiletten anders konstruiert waren.

Warum hatte ich Bedenken?

Aber ich lasse sie natürlich gewähren – bevor es keiner macht – wie schlimm kann es schon werden?

Als ich später wieder ins Foyer komme, kann man die Scheiben kaum sehen. So sauber sind die. Und ich ärgere mich über mich selbst: Warum hatte ich Bedenken?

Der Ehemann hält mir ein feuchtes Papierknäuel unter die Nase. Damit hatten sie die Scheiben abgewischt.

Dann spricht er etwas in sein Handy, in den Übersetzer und lacht. Als ich es lese, steht da: „Die Macht der Zeitung! – Dies ist keine politische Botschaft“

Ganz normale Leute, die ganz normale Sachen tun

In seiner Heimat gibt es keine Pressefreiheit. Er wäre nicht hier, wenn jeder seine Meinung sagen oder drucken könnte. Aber er kann darüber schmunzeln.

Ganz normale Leute, die ganz normale Sachen machen und dabei den Humor nicht verlieren, auch und gerade, wenn das Leben schwer ist ... das tut gut – nicht nur den Scheiben.

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