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Ich packe meinen Koffer
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Ich packe meinen Koffer

Claudia Biester
Ein Beitrag von Claudia Biester, Evangelische Pfarrerin, Bad Homburg
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Die Urlaubszeit steht an und damit auch das Kofferpacken. Ich packe meine Zahnbürste ein und Klamotten, ein Buch und meine Brille, Sonnencreme, Strandsachen, Kopfhörer, Schuhe und Kosmetik, Laptop und die Picknickdecke… Die Liste ist lang, wird immer länger.

Eimal aufbrechen ohne Gepäck

Eigentlich träume ich davon, einmal ohne Gepäck aufzubrechen. Unterwegs sein für ein, zwei Tage und dabei gar nichts brauchen, außer Kleidung und vielleicht eine Zahnbürste und eine Flasche Wasser. Aufbrechen, einfach loszulaufen. Ohne Gepäck und ohne große Pläne, vielleicht ohne Geld. Aber ich ahne: das würde ich mich nicht trauen.

Eine besondere Reisegruppe macht es vor

Anders als eine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener. Vor vielen Jahren bin ich ihnen begegnet. In dem Dorf im Taunus, in dem ich damals Pfarrerin war. An einem späten Nachmittag rief mich damals eine Frau an und sagte: „Frau Pfarrerin, an der Hauptstraße stehen ungefähr zehn Jugendliche. Die haben Hunger und brauchen eine Übernachtungsmöglichkeit. Gibt’s da in der Kirchengemeinde was?“

Die Jugendlichen standen ein wenig ratlos da. Sie diskutierten miteinander und waren unschlüssig, wohin es weitergehen sollte. Müde sahen sie aus und angestrengt.

Einfach loslaufen und herausfinden, was kommt

Ich habe sie gefragt: „Wer seid Ihr? Woher kommt ihr und wohin soll es gehen?“ Die Jugendlichen haben erzählt: „Wir sind eine Jugendgruppe. Heute Morgen sind wir am Rhein losgelaufen, wir wollen durch den Taunus wandern. Und zwar ohne Geld, ohne mitgebrachten Proviant.“ Ich war ganz schön beeindruckt. Sie wollen es einfach mal darauf ankommen lassen und herausfinden: Geht so etwas? Einfach drauf loswandern? Finden wir einen Schlafplatz? Und Menschen, die uns auf dem Weg unterstützten?

Offene Türen im ganzen Dorf

Längst hatte die Nachricht von der ungewöhnlichen Reisegruppe im Dorf die Runde gemacht. Immer mehr Leute sind aus ihren Häusern gekommen. Und na klar, alle waren bei ihrer Ehre gepackt.

Eine Familie aus dem Dorf hat die Jugendlichen spontan zum Essen eingeladen. Es gab Rührei, Brot und Käse – alles was der Kühlschrank bot. Übernachten war auch kein Problem. Die katholische Kirchengemeinde stellte ein leeres großes Jugendhaus zur Verfügung. Und am nächsten Morgen gab es Frühstück für alle bei uns im Pfarrhaus. Es war uns eine Ehre und Freude und ein fröhlicher Morgen. 

Die Gruppe hat einen Traum mitgebracht

Bis heute erinnere ich mich gerne daran. Der Besuch dieser Gruppe war ein Geschenk. Sie haben für viel Gesprächsstoff im Dorf gesorgt. Für mich haben sie aber vor allem den Traum mitgebracht: einfach aufbrechen – ohne alles. Und schauen, was passiert.

Manchmal, wenn ich heute Koffer packe und meine Listen abarbeite, erinnere ich mich daran und denke: vielleicht sollte ich es wirklich auch einmal tun: einfach aufbrechen, nur mit Gottvertrauen im Rucksack, dass sich schon alles finden wird – das reicht. Bestimmt käme ich mit neuen Eindrücken und Erlebnissen zurück, vielleicht wäre ich sogar erholt. Vielleicht würde ich auch auf Menschen treffen, die spontan ihre Hilfe anbieten. Das wäre wunderbar. Hoffentlich traue ich mich das wirklich irgendwann. Und denke hinterher: Warum habe ich eigentlich so lange gezögert?

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