
Fenster zur Vergangenheit
Als Kind und Jugendliche habe ich oft Postkarten an meine Großmutter geschrieben, viele davon aus dem Urlaub. Meine Mutter hat meine Brüder und mich immer wieder dazu angehalten, unserer Oma diese kleine Freude zu machen.
Drei Frauen, drei Generationen
Was ich bis vor kurzem nicht gewusst habe: Meine Großmutter hat die Postkarten fast alle sorgfältig aufbewahrt. Nach ihrem Tod hat meine Mutter die Karten an sich genommen und ihrerseits aufgehoben. Neulich sind sie ihr beim Aufräumen wieder in die Hände gefallen. Bei einem Besuch bei meinen Eltern vor einigen Wochen haben wir sie zusammen angeschaut und sind darüber ins Gespräch gekommen: meine Mutter, meine 11jährige Tochter und ich, drei Frauen, drei Generationen.
Die Postkartentexte erzählen indirekt von meiner Oma
Die Postkarten haben dabei wie ein Fenster in die Vergangenheit gewirkt: Sie haben Erinnerungen geweckt, zunächst natürlich an meine Großmutter, die vor über dreißig Jahren gestorben ist. Sie war die Adressatin der Karten, einige Texte erzählen indirekt auch von ihr: Einmal schreibt mein Bruder, dass ihm der Apfelstrudel so besonders gut geschmeckt hat, den meine Oma bei unserem letzten Besuch für uns gebacken hat. Und da ich im August Geburtstag habe, sind einige Karten aus dem Sommerurlaub auch Dankespost für Glückwunsche und Geschenke – und ich erinnere mich daran, dass meine Oma uns zu den Geburtstagen immer sehr aufmerksam bedacht hat.
Sie versetzen uns zurück in die Zeit der Familienurlaube
Meine Mutter und ich kommen über die Karten auf die Familienurlaube zu sprechen, tauschen uns über die gemeinsamen Reisen aus. Bei einigen Karten fehlt das Datum, wir überlegen zusammen, wann sie geschrieben wurden und was in dem Jahr sonst noch passiert ist. „Dieser Urlaub in der Schweiz, das muss 1983 gewesen. In dem Jahr war auch deine Erstkommunion“, erinnert sich meine Mutter. „Und da haben wir doch diese lange Wanderung gemacht, wo wir so schrecklich nass geworden sind“. Eine andere Karte ist aus einem Italien-Urlaub am Meer geschrieben – und ich muss gleich daran denken, dass mein Vater damals mit mir Tretboot gefahren ist, und wir Kinder sehr oft Eis bekommen haben.
Was sie da so alles über ihre Mama als Kind erfährt
Meine Tochter hört bei all dem neugierig zu, was sie da so alles über ihre Mama als Kind erfährt. Sie bemerkt kritisch, dass die Schrift der Mama auf den Karten schöner ist als heute, und sie wundert sich überhaupt, dass damals so viel mit der Hand geschrieben wurde und es noch keine E-Mails oder Handys gab.
Die Erinnerungen bereichern unsere Gegenwart
Ich bin froh, dass meine Großmutter und meine Mutter die Karten aufgehoben haben. Sie sind für mich ein Fenster in die Vergangenheit, auch in meine eigene, in meine Kindheit und Jugend. Sie halten Erinnerungen lebendig an Menschen, an Erlebnisse – über Jahrzehnte hinweg, über Generationen hinweg. Und es ist schön, gemeinsam zurückzuschauen, sich über Vergangenes auszutauschen, Erinnerungen zu teilen und weiterzugeben. Ich spüre: das bereichert und stärkt unsere Beziehungen jetzt in der Gegenwart.