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Das Schweige-Ding
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Das Schweige-Ding

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Katholische Studienleiterin an der Akademie des Bistums Mainz in Darmstadt
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Vor kurzem habe ich eine Woche Exerzitien gemacht. Exerzitien, da steckt das Wort „exerzieren“ drin, „üben“. Aber gemeint ist hier nicht das Exerzieren der Soldaten. Exerzitien, wie ich sie gemacht habe, sind geistliche Übungen. Dabei geht es darum still zu werden, darauf zu schauen, was gerade los ist in meinem Leben, und hinzuhören, was das mit Gott zu tun haben könnte. 

Kein Lesen, kein Radio, kein Fernsehen

Meine Kinder haben für „Exerzitien“ ein eigenes Wort erfunden, sie nannten sie: Das Schweige-Ding. Denn: Zu Exerzitien gehört, sich durch nichts ablenken zu lassen. Kein Lesen, kein Radio, kein Fernsehen, komplett offline sein. Und eben auch zu schweigen, keine Gespräche, keine Telefonate. Wir waren bei meinen Exerzitien eine Gruppe von zwölf Personen. Wir haben uns morgens und abends zum Gebet oder Gottesdienst getroffen und gemeinsam gegessen. Aber ansonsten haben wir nicht miteinander geredet. 

„Wie hältst du das aus?“

Meine Kinder konnten das kaum glauben: „Du darfst wirklich eine Woche lang nicht reden?“, haben sie gefragt. Und eine Freundin meinte „Wie hältst du das aus?“

Ehrlich gesagt, ich habe es recht gut ausgehalten. Die ersten beiden Tage sind mir zwar recht lang vorgekommen, und ab und zu habe ich Lust bekommen, eine Zeitung aufzuschlagen. Aber insgesamt habe ich die Zurückgezogenheit genossen. Gerade das Schweigen fand ich sehr angenehm. Ich habe gemerkt, wie viel Energie das Sprechen oft kostet, die Kommunikation mit anderen Menschen: zuhören, überlegen, was ich sagen will, die richtigen Worte finden. Schweigen, das habe ich auch als Entlastung erlebt. 

Eine angenehme Vorstellung für meine Kinder

Dabei habe ich auch beobachtet: Obwohl ich mit den anderen Teilnehmenden nicht gesprochen habe, konnte ich doch einiges an den Gesichtern, der Körperhaltung und den Gesten erkennen: ob jemand gerade gut gelaunt war oder müde oder sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt. Und alles in allem war ich doch froh, dass andere Menschen um mich herum waren, auch ohne mit ihnen zu sprechen, sonst hätte ich mich schon sehr einsam gefühlt. 

Wieder daheim, haben meine Kinder vorgeschlagen: „Könntest du das Schweige-Ding nicht auch einmal zu Hause machen? Eine Woche einfach nichts reden?“ Eine schweigende Mutter, die nicht nach Hausaufgaben fragt und nicht zum Aufräumen ermahnt, das stellen sich meine Kinder sehr angenehm vor.

Muss ich es wirklich sagen?

Das Schweige-Ding zu Hause, das geht natürlich nicht. Trotzdem nehme ich etwas mit für den Alltag: Ich kann in den Tagesablauf ein kurzes Schweigen einbauen, eine Minute Ruhe beim Mittagessen mit den Kindern, statt gleich mit den Fragen nach den Erlebnissen in der Schule zu beginnen. Ich kann kurz innehalten, bevor ich etwas sage: Muss ich es wirklich sagen? Kann ich es vielleicht anders sagen? Gerade wenn es etwas Unangenehmes ist. Und ich werde genauer in das Gesicht meines Gegenübers schauen, denn Geste und Blicke verraten mindestens genauso viel wie Worte, das habe ich gelernt. 

Ich habe auch etwas gelernt

Und noch etwas habe ich in der Schweige-Woche gelernt: Wie gut dann doch manche Worte tun: das freundliche „Guten Morgen“ meiner Kollegin, unsere Familien-Gespräche beim Abendessen, der Anruf einer Freundin, die ich lange nicht gesprochen habe. Durchs Schweigen hab ich auch das wieder neu schätzen gelernt.

 

 

 

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