
Unheilbare Krankheit "Hoffnung"
„Wir leiden an einer unheilbaren Krankheit namens Hoffnung!“[1] So hat es Mahmoud Darwish geschrieben, ein Schriftsteller aus Palästina.
Aufgewachsen in einem palästinensischen Flüchtlingslager bei Damaskus
Einer, der diese Hoffnung mit seiner ganzen Persönlichkeit lebt, ist Ahmad al Saadi. Ein junger Mann. Aufgewachsen ist er in einem palästinensischen Flüchtlingslager bei Damaskus. In Deutschland hat er seine zweite Heimat gefunden. Ich lerne ihn auf einem Gesprächsabend in meiner Kirchengemeinde kennen. Da erzählt er seine Geschichte.
Ahmad al Saadi will eigentlich nach Schweden fliehen, landet aber in Deutschland
Als 2011/2012 Bürgerkrieg in Syrien herrscht, will er ins Westjordanland fliehen und wird dabei von der israelischen Armee angeschossen. Sein Knie ist stark verletzt, monatelang sitzt er im Rollstuhl. Dann will er über die Türkei nach Schweden fliehen. In Deutschland fliegt sein gefälschter Pass auf. Ahmad landet in Chemnitz. Er engagiert sich ehrenamtlich, hilft neu ankommenden Geflohenen, organisiert Workshops in Schach, Musik und Deutsch für sie. Schließlich leitet er jahrelang Flüchtlingslager.
„Das sind ja auch nur Menschen“
Eines Tages nimmt ihn ein Bekannter in Chemnitz mit auf einen Ausflug. Das Ziel soll eine Überraschung sein. Unvorbereitet findet sich Ahmad in einer Synagoge wieder, einem jüdischen Gotteshaus, bei seinen „Erzfeinden“. Ahmad beschreibt seine Reaktion: „Ich habe am ganzen Leib gezittert, konnte kaum atmen, war total angespannt.“ Von klein auf hatte man Ahmad eingetrichtert: „Alles Böse kommt aus Israel. Die Juden sind daran schuld, dass die Palästinenser in Flüchtlingslagern leben und staatenlos sind.“ Jetzt sitzt er da, mitten unter vermeintlichen Feinden. Er spürt seine Angst am ganzen Körper. Doch etwas Erstaunliches passiert. Die jüdischen Menschen empfangen ihn freundlich, plaudern mit ihm. Und er merkt: „Das sind ja auch nur Menschen.“ Die ersten Bande sind geknüpft.
Das Projekt "Shalom - Salam"
Heute arbeitet Ahmad al Saadi bei dem Projekt „Shalom – Salam": Das bedeutet Frieden auf Hebräisch und Arabisch. Zusammen mit einer Jüdin tritt er als Tandem auf, geht in Schulklassen und Gruppen und organisiert Besuche in der Moschee und in der Synagoge. Das Ziel: Brücken bauen zwischen Muslimen und Juden, Vorurteile abbauen. Ahmad beobachtet mit Sorge die Spaltungen in unserer Gesellschaft. Sie sind nach dem Massaker der Hamas am 7.Oktober 2023 und dem anschließenden Gaza-Krieg noch stärker geworden. Beides wird extremer: der Antisemitismus genauso wie der antimuslimische Rassismus.
Auf Menschen freudlich zugehen, die die Welt anders sehen
Ich bewundere Ahmad. Als palästinensischer Muslim mit seinem ehemaligen Hass auf Israel arbeitet er jetzt mit Jüdinnen zusammen. Er konnte auf seinen ärgsten Feind zugehen. Daran will ich mir ein Beispiel nehmen und auf Menschen freundlich zugehen, die die Welt ganz anders sehen. Ahmad sagt: „Frieden ist nicht nur ein Wort. Frieden ist eine tägliche Praxis des Verstehens und des Mitgefühls über Grenzen hinweg. Lassen wir uns doch von den Gemeinsamkeiten leiten. Wir sind alle Gottes Kinder. Ich habe einen unerschütterlichen Glauben an den Frieden.“[2]
[1] „Wir leiden an einer unheilbaren Krankheit: Hoffnung.“ — Mahmoud Darwish (1941 -2008)
[2] Ahmad al Saadi hat diesen Text freigegeben.