Gar nicht so dumm, die Schafe
Jetzt im Frühjahr sieht man sie wieder: die kleinen Lämmer auf der Weide. Wie sie herumtollen, blöken, mit dem Lämmerschwanz wedeln, Milch saugen bei der Mutter. Eine Idylle! Ähnlich im Herbst, wenn die Schäfer mit ihren Herden über die Wiesen ziehen.
Schäfer - ein toller Beruf?
Mancher denkt vielleicht: Ein toller Beruf, immer im Freien, bei den Tieren. Mit dem würde ich gerne tauschen. Oder doch lieber nicht. Denn was verdient man heute schon mit Wolle, Schafsmilch und Fleisch? Außerdem: Will man den ganzen Tag mit Schafen zusammen sein, von denen Brehms Tierleben schreibt: sie sind feige, dumm und charakterlos?
Schafe sind intelligente Tiere
Heute bin ich schlauer. Es sind sehr besondere Tiere, sagt mir ein Schäfermeister: Einerseits neugierig, sie suchen immer nach den besten Gräsern. Auch intelligent. Schafe erinnern sich zum Beispiel, wo am Wegrand vor einem Jahr dieses besonders saftige Kraut stand. Genau da wollen sie wieder hin.
Andererseits können sie sich als Einzelne kaum gegen Feinde wehren. Ihre Stärke ist der Zusammenhalt. Bei einem Angriff drängen sie sich zusammen und geben einander Schutz. Eigensinn und Zusammenhalt - das zeichnet sie aus.
Ähnlichkeit zu uns Menschen
Sind uns die Schafe da nicht verblüffend ähnlich? Jede und jeder ein Individuum, immer besonders, immer neugierig, auf der Suche nach dem besten Kraut - und dann brauchen wir doch unbedingt die anderen, suchen Nähe, Schutz und Zusammenhalt.
Der Psalm 23
In der Bibel ist oft von Schafen die Rede. Da gibt es etwas süßliche Bilder, zum Beispiel vom mächtigen Oberhirten und der Gemeinde als seinen Schäfchen. Das mag ich, ehrlich gesagt, nicht. Aber da ist dann auch Psalm 23, ein Gebet, das zur Weltliteratur zählt: „Der Herr ist mein Hirte“. Gesprochen in der Rolle und mit der Stimme eines Tieres. Das wird über die Weide geführt und folgt vertrauensvoll seinem Hirten. In der großen Herde und doch jedes für sich: „… mir wird nichts mangeln, er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“
Worte des 23 Psalms trösten
Wenn ich als Seelsorger alte oder kranke Menschen besuche, wollen manche dieses Gebet hören. Und sie sprechen mit, besonders wo es um Vertrauen geht. „und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, …du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Menschen werden ruhig, wenn sie das hören und sprechen. Sie atmen anders, kommen zu sich oder lassen los.
Das ist der Kern unseres Glaubens. Wenn jemand sagen kann, für sich und vielleicht sogar zusammen mit anderen: Du bist bei mir. Da ist man ganz bei sich, nah beieinander, und kann doch gehen, wo auch immer der Weg hinführt.