Was beim Trauern hilft
Mich rief eine junge kurdische Frau an. Sie bat mich um Rat, was ihr beim Trauern helfen kann. Ihr Opa war gestorben. Die Frau erzählte mir: In den Trauerriten ihrer Familie wird traditionell viel getan, die ganze Familie ist aktiv. Die Trauernden reden, kochen, klagen, backen. Aber sie würden wenig innehalten. Das fehlt ihr. So überlegen wir am Telefon gemeinsam: Wie erinnert man sich an einen Menschen und nimmt dann Abschied?
Erinnerungen sammeln an einen lieben Verstorbenen
Sie erzählt, wie es bei ihrem Opa so gut roch nach Lavendel und Lakritze. Im Scherz sagt sie: „Ich kann ja nicht andauernd Lakritze essen, um mich an ihn zu erinnern.“ Sie stockt und erinnert sich weiter, dass ihr Opa gern fotografiert hat, analog, mit Filmen in Röllchen. Sie überlegt: „Vielleicht stecke ich so ein Filmdöschen ein. Mein Opa hat mir gezeigt, wie man am alten Fotoapparat ganz vorsichtig den Film zurückdreht, den Fotoapparat öffnet und den Film entnimmt. Wie gespannt er da immer geschaut hat!“ Sie schweigt einen Moment und meint dann: „Angeblich lache ich wie er. Das sagt meine Schwester.“
Wir sammeln noch ein wenig, was sie von ihrem Großvater übernommen hat, was er gedacht hat, welche Haltung er zum Leben hatte. Etwas, das sie weitertragen will. Und dann scheint es ihr in diesem Gespräch zu genügen.
Der Opa hat ihr Mut gegeben
Eine Woche später ruft sie wieder an und wir verabreden uns, um spazieren zu gehen an einem Bach in der Nähe. Beim Gehen erinnert sie sich, wie ihr Opa mit ihr übte, zu widersprechen, wenn es mal Streit gab. So hat er ihr Rückgrat gestärkt. „Das trage ich weiter von ihm: mutig zu sein und auch auf Fremde zuzugehen. Und er hat mir mal einen kleinen Stein gegeben. Den sollte ich in meine Hosentasche tun und ihn berühren, wenn ich mehr Mut brauche. Das tue ich bis heute. Als würde ich mich dann mit all dem Mut und Selbstbewusstsein verbinden, die mein Opa mit mir eingeübt hat.“ Wir gehen, hören dem Bach zu und hängen unseren Gedanken nach.
Es gibt nicht nur schöne Erinnerungen
„Und da ist noch etwas, das ich loswerden will. Ich habe nicht nur schöne Erinnerungen an meinem Opa. Ich will loswerden, dass ich auch auf ihn wütend bin. Er war nicht gut zu meiner Mutter. Aus dem Krieg hatte er einen kaputten Rücken und Arthritis in den Gelenken. Er hat da furchtbare Dinge erlebt. Das hat ihn hart gemacht. Auch meiner Mutter gegenüber. Die hat sehr drunter leiden müssen. Sie hat sich ihr Leben lang nach seiner Liebe gesehnt. Ich wünsche mir so, dass das wieder gut wird. Dass meine Mutter die Schmerzen davon weglegen kann. Und mein Opa auch. Da, wo er jetzt ist. Dass beide von Liebe umhüllt sind.“
Gefühle aufsteigen lassen, wie ein Luftballon
Während die Frau erzählt, kommen wir an einem Strauch vorbei, da hat sich ein alter Luftballon drin verknotet. So ein mit Helium gefüllter Kirmesluftballon, der hochsteigt, wenn man ihn befreit. „Das ist es!“, ruft sie. „Ich lass meine Gefühle in die Luft steigen wie einen Luftballon, der nach oben steigt.“ Und dann lässt sie den Ballon nach oben steigen. Sie atmet aus. „Sehen Sie, da oben, da fliegt er. Und nimmt all das Schlimme mit“.
Wir sehen dem Ballon nach. Dann lacht sie. Sie wirkt erleichtert. Als wäre tatsächlich etwas von Schmerz und Härte davongeflogen.
Ein paar Tage später schickt sie mir eine kurze Nachricht auf mein Smartphone mit einem roten Luftballon. Ich bin froh. Wir haben viel zusammen erlebt: Trauern, etwas loslassen und anderes als Erbe weitertragen.